Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
überrascht wie ich und erstarrt einen Moment lang. Ihre Augen wandern geradewegs zu meinem Bauch, obwohl ich versuche, ihn mit meinem Umschlagtuch zu bedecken. Sie mustert Cornelius Soul und dann wieder mich. Der Schmuckstein an ihrem Hals sprüht in dem hellen Licht strahlende Funken. Ich hatte vergessen, wie hübsch und wie strahlend sie aussieht. Doch als ich eifrig aufstehe, schüttelt sie den Kopf und wendet sich steif ab, als ich grüßend die Hand hebe. Ich bin sicher, dass ihr Mund unhörbar das Wort »Nein!« formt.
Ich bin verwirrt.
Sie ist in Begleitung eines Mannes in mittlerem Alter in einer Militäruniform. Sie hat sich bei ihm untergehakt, und die Quasten an seinen Epauletten schimmern und hängen wie glänzende Palmkätzchen von seinen Schultern. Ein jüngeres Mädchen klammert sich an seinen anderen Arm, ich höre es kichern. Alle drei wenden sich zum Gehen und spazieren den Weg entlang. Lettice Talbot kichert ebenfalls. Sie tut so, als hätte sie mich nicht gesehen.
Cornelius Soul dreht sich um. »Sie kennen diese Hure?«, ruft er aus und folgt meinem Blick. »Sie wollen doch wohl keinen Umgang mit einer Frau pflegen, die sich als Hure verkauft!«, sagt er mit lauter Stimme. »Wie kommt es, dass Sie mit so einer Baggage bekannt sind?«
Ich beobachte, wie Lettice Talbot sich in ihren seidenen Pantoffeln graziös auf dem Kiesweg entfernt. Es ist erstaunlich, dass sie nicht mehr Aufmerksamkeit erregt – sie ist so wunderschön.
»Wir sind uns einmal zufällig auf einer Reise begegnet«, antworte ich und wende mich wieder dem Orchester zu. Ich blinzle. »Aber ihre Reise war eine andere als meine.«
»Das will ich hoffen!«
Lettice Talbot und ihre Begleitung verschwinden hinter dem Orchesterpavillon. Cornelius Soul zuckt mit den Schultern.
»Teure Hure, billige Hure – alles dasselbe.« Er kippt sich einen Schluck Punsch in den Mund und schluckt. »Man kann einen Hund in feine Spitzen und Rüschen kleiden und sich seine Dienste teuer bezahlen lassen. Deshalb hat er immer noch die Knochen eines Hundes, das Fell eines Hundes und den stinkenden Atem eines Hundes.« Er sieht auf den Tisch hinunter. Auf seinem Gesicht liegt ein Ausdruck des Abscheus, als hätte er statt des Schinkens etwas Verdorbenes auf seinem Teller entdeckt.
Mir ist der Appetit vergangen, und mir ist übel. Dieser dünn geschnittene Schinken ist den Schilling nicht wert, den er dafür bezahlt hat, denke ich, sage aber nichts. Es gefällt mir nicht, dass er so über sie spricht, ganz gleich, womit sie ihren Lebensunterhalt verdient. Durch den rosa Schinken, der wie ein Stück Haut auf dem Teller liegt, kann ich das Muster auf dem Porzellan erkennen. Warum wollte sie gerade nicht mit mir sprechen? Cornelius klappt die letzte Scheibe Schinken zusammen und steckt sie sich in den Mund. Er bestellt für jeden von uns noch ein Glas Punsch, aber ich kann meinen nicht austrinken, er ist so stark.
»Eine erbärmliche Art, seinen Lebensunterhalt zu verdienen«, sagt er voller Verachtung.
»Vielleicht ist genau das der Punkt«, entgegne ich zaghaft. »Es ist der Lebensunterhalt, nicht eine Wahl aus freien Stücken. Gott weiß, dass wir uns auf Pfaden wiederfinden, die wir uns nicht ausgesucht haben.«
»Man wird nicht so gut wie sie, wenn man nicht zu dieser Art Leben berufen ist.« Und damit wechselt er das Thema, als würde es ihn anwidern, noch länger über Lettice Talbot zu reden. Ein weicher Teil in mir, tief in meinem Innern, von dessen Dasein ich gar nichts wusste, ist härter geworden. Das Orchester stimmt einen Marsch an, und Cornelius Soul schlägt mit dem Fuß den Takt mit. Die lebhaften, klaren Töne dröhnen mir in den Ohren. »Passt auf eure Taschen auf!«, ruft ein Mann in der Nähe. Eine Frau unter den herumschlendernden Menschen kreischt laut auf.
»Es ist fast Zeit für das Feuerwerk«, sagt Cornelius Soul. »Wenn wir uns ein wenig von dem Gedränge entfernen, werden wir einen guten Blick auf alles haben. Und wenn wir jetzt sofort gehen, können wir vielleicht sogar die Nachtigallen singen hören, bevor die ersten Raketen hochgehen. Sollen wir aufbrechen, Miss Trussel?«, sagt er und schiebt mich vorwärts.
Während ich neben ihm hergehe, erscheint plötzlich ein Bild vor meinem inneren Auge: Mein Onkel treibt das große Schwein mit seinem Eschenstock vor sich her, und das Schwein trabt stur vor sich hin, weil es das Ziel nicht kennt. Irgendwie scheint es wichtig zu sein, ob ich mich daran erinnere, dass ein
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