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Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Borodale
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hören sie, wie mein Herz hämmert, und sie ergötzen sich daran, wie viele Schwierigkeiten nun auf mich zukommen werden. Sie müssen alles sehen, genau wie ich – das Unheil rückt drohend näher und wirft einen langen Schatten der Verzweiflung über mein verpfuschtes Leben. Mein Ruf ist nun ohnehin endgültig zerstört. Meine Schande scheint in ihrer Verworrenheit kein Ende zu nehmen.
    »Kleine Hure«, murmelt Mrs. Blight, als hätte sie es immer schon gewusst. Vom Kopfende des Tisches starrt Mary Spurren mich mit ihrem ausdruckslosen Blick an.
    * * *
    Später gehe ich hinauf in Mr. Blacklocks Zimmer, um für Ordnung zu sorgen, und stelle fest, dass Mary Spurren seine Leiche vollständig entkleidet hat.
    »Was tust du da?«, frage ich entsetzt.
    »Was der Arzt uns aufgetragen hat, Agnes. Könntest du am Kopf beginnen und dich nach unten vorarbeiten? Ich muss es hinter mich bringen.«
    Und so waschen wir gemeinsam seine Leiche und teilen die schreckliche Intimität. Keine von uns spricht ein Wort. Mr. Blacklock hat lange blasse Gliedmaßen, die bis zum Fuße des Bettes reichen. Wir benutzen ein neues Stück gepresster, guter Seife, und der Seifenschaum rinnt über seine Haut und sickert in das Laken und in die Matratze, während wir arbeiten. Mein Bauch schmerzt vor Zärtlichkeit, als ich aus direkter Nähe sehe, wie das Leben aus ihm gewichen ist, seine steifen Arme, die dunklen Stoppeln in seinem Gesicht. Er sieht aus, als würde er nur schlafen, obwohl seine Lider sich zum letzten Mal über den dunklen, funkelnden Augen geschlossen haben.
    Seine Rippen!, denke ich, und als Mary Spurren den Raum verlässt, um frisches Wasser zu holen, kann ich nicht widerstehen. Ich lege den Lappen zur Seite und berühre seine nasse, weiche Haut mit den bloßen Fingerspitzen. Man sieht die Schnittspuren des Arztes.
    Wir spülen den Seifenschaum und das Blut fort.
    Ich stelle mir das Innere von Mr. Blacklock wie das feste, unberührbare Holz im Herzen einer Eiche vor, das mit dem anderen Brennholz ins Feuer geworfen wird, aber die Flammen können ihm nichts anhaben. Das Feuer züngelt und berührt dieses Holz kaum, als wären die Flammen kalt und nicht heiß und hätten keine Kraft. Wenn es schließlich doch noch Feuer fängt, schwelt es vor sich hin, die ganze Nacht hindurch und darüber hinaus. Dabei entstehen mit unendlicher Langsamkeit sauberer Rauch und eine zuverlässige, durchdringende Wärme. Die Kohle aus solchem Holz wird sehr geschätzt und ist teuer.
    Es gibt eine Sache, die jetzt nie mehr aufgeklärt werden kann – was mich in gewisser Weise trotz meiner Schuldgefühle erleichtert: John Blacklock wird nie erfahren, dass ich ihn, was den Verlust meiner Familie angeht, belogen habe. Manchmal befürchte ich natürlich, dass die Toten vielleicht alles wissen und alles sehen, aber es ist besser, nicht daran zu denken.
    Mrs. Mellin, der Mann am Galgen, der Säugling auf der Straße und jetzt John Blacklock, alle sind sie tot. Und wie leicht sind uns all diese Leben entschwunden. Die Vielfalt ihres Lebens war unter uns, sie waren Teil unseres eigenen Lebens. Und doch ist der Tod in diesem Moment der Veränderung und von da an für immer von einer erschreckenden Einfachheit.
    Was ich fühle, ist wie ein unbeständiger Wind, der durch mich hindurchbläst. Bisweilen ist es ein süßes, verstörendes Gefühl der Trauer, das sich wie ein bisschen Staub oder eine Infektion in mir festgesetzt hat. Dann plötzlich ist es ein heftiger, unfassbarer Schmerz, der mich so schnell und unerwartet überfällt, als hätte mich jemand mit einem harten Gegenstand ins Gesicht geschlagen.
    »War da was zwischen euch?«, fragt Mary Spurren traurig und hält ihren großen Kopf gesenkt.
    »Ich kann es nicht sagen, Mary.« Tränen steigen mir in die Augen. Ich blicke auf seine Leiche auf dem Bett hinunter.
    »Wohin bist du gegangen?«, flüstere ich, als Mary Spurren die Kammer wieder verlässt. Seifenschaum schwappt aus der Schüssel auf ihre Schürze. Ich würde ihn am liebsten auf die Brust schlagen und mein Ohr auf die Stelle drücken, an der sein Herz pochen sollte.
    Und dann denke ich an das frische Schweineherz in der Hand meines Onkels, und wie schnell wir es gekocht und gegessen hatten.
    * * *
    Später kleiden wir Mr. Blacklocks Leiche an: In der folgenden Nacht halten wir abwechselnd Totenwache und sorgen dafür, dass die Kerzen nicht verlöschen.
    Wie die Balken und Stützstreben des Hauses in der Nacht knarren! Es wäre

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