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Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Borodale
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fing an zu zittern, und Joe ist rausgerannt zum Three Bells, um Hilfe zu holen. Mrs. Blight war nirgends zu finden. Meine Hände haben so geschwitzt, bis die Leute mit Dr. Kitstone zurückkamen.« Mary Spurrens Zähne klappern.
    »Mr. Blacklock hält nicht viel von Ärzten«, sage ich schwach mit der Hand an der Tür.
    »Er war schon seit ein paar Wochen Patient von Dr. Kitstone«, erwidert Mary Spurren unerklärlicherweise.
    Ich bin noch nie am Ende des Flurs hier oben gewesen. Als ich die Tür zu seiner Kammer öffne, wird der fremde Geruch stärker. Auf dem Boden neben dem Bett steht eine weiße Schüssel voller Blut, und in einer anderen befindet sich schmutziges Wasser mit Tüchern darin. Ein Mann ist hier, ein Arzt, er steht am Bett, auf dem Mr. Blacklock ausgestreckt liegt. Er ist bis zu den Schultern mit einem Laken zugedeckt. Ich kann kein Wort sagen. Ungläubig starre ich ihn an. John Blacklocks Gesicht sieht verschlossen aus, seine Augenlider sind violett und dunkel.
    Eine blasse Hand liegt mit der Handfläche nach oben auf der Bettdecke, die langen Finger sind leicht gekrümmt, als würde er einen Gegenstand festhalten.
    Wohin bist du gegangen?, denke ich verwirrt. Ich habe so sehr an dich geglaubt. Es kommt mir unmöglich vor, und doch ist mir vollkommen klar, dass Mr. Blacklock nicht mehr dort in seinem Körper ist. Der Geruch nach frischem Blut und nach etwas, das ich nicht zuordnen kann, hängt in der Luft. Ich gehe zum Fenster, um frische Luft hereinzulassen. Ich öffne alle Flügel und zähle im Kopf mit. Eins. Zwei. Drei. Vier. Es ist der größte Raum im oberen Stockwerk des Hauses. Ich atme die Luft ein, die ins Zimmer weht. Ich kann die St. Paul’s Cathedral sehen. Ich wusste nicht, dass Mr. Blacklock sie von seinem Fenster aus sehen kann. Wie groß sie ist! Nachdem ich einige Augenblicke lang auf den hellen Himmel gestarrt habe, erkenne ich über der Kuppel den schwachen Umriss des Mondes, der gleich darauf wieder hinter dem gelblichen Dunst verschwindet.
    »Agnes«, sagt Mary Spurren zu mir. »Der Doktor hat was gesagt.«
    Er sammelt seine Instrumente und Geräte ein, die aufgereiht auf Mr. Blacklocks Kommode liegen. Mit einem Lappen wischt er eine Lanzette ab, wickelt sie in Leder ein und lässt sie in eine Tasche fallen, die geöffnet auf dem Bett steht. Dann verkorkt er eine Flasche und säubert den Rand von Flüssigkeit. Ich beobachte seine Hände. Sein Gesicht ist völlig ausdruckslos.
    »… Aderlass und Reinigung des Systems von schlechter Energie«, sagt er, »falls es eine Heilungschance gegeben hätte. In diesem Fall jedoch …« Er zuckt mit den Schultern und lässt die Worte im Raum stehen.
    »Was war Ihrer Meinung nach die Todesursache, Doktor?«, frage ich. Ich bin ziemlich benommen.
    Er schaut an mir vorbei zur Tür, als hielte er nach einem höherrangigen Mitglied des Haushaltes Ausschau, um ihm seine Diagnose mitzuteilen. Da er niemanden findet, richtet er seinen kalten blauen Blick wieder auf mich.
    »Wie Sie vielleicht wissen, litt Mr. Blacklock schon seit einiger Zeit an einer akuten Lungenschwäche, aber ich vermute, dass sein Tod durch Herzversagen herbeigeführt wurde. Die Sterblichkeit ist eine unsichere Sache und dies umso mehr, wenn der Körper ohnehin schon geschwächt ist …« Er schwatzt immer weiter. Wie blank die Knöpfe an seiner Jacke sind! Es bläht ihn auf, dass er das Leben von anderen irgendwie verbessert. Ich wünschte, er würde uns jetzt endlich allein lassen. Ich gehe wieder zum Fenster und wende ihm den Rücken zu.
    Die Hustenanfälle müssen Mr. Blacklock die ganze Nacht gequält haben, aber niemand ist gekommen, weil ihn wegen des Sturms keiner hören konnte. Hat er dunklen Auswurf in die Waschschüssel neben dem Bett gehustet, während der Sturm wie ein großes schwarzes Tier vor dem Fensterflügel tobte und Luft durch die Ritzen hereindrückte? Hat er sich erschöpft in die Kissen zurückgelehnt und war nicht mehr in der Lage zu husten, weil er nicht genug Luft bekam? Hat er um Atem gerungen und gespürt, dass der Wind die Luft um ihn herum eroberte und sie von seinem Mund fortblies, bis allmählich das Leben aus seinem Körper gesaugt wurde?
    Tropfen für Tropfen nimmt mein Körper die Erkenntnis auf, dass die Welt von nun an eine andere ist. Draußen kann ich nicht mehr klar erkennen, wo der Himmel aufhört und der Raum zwischen den Bäumen und den Häusern beginnt. Die Welt ist mir entglitten. Und in meinem Innern hat sich ein

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