Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
undenkbar, einzuschlafen. Jetzt, wo ich gesehen habe, welchen Schaden der Sturm draußen anrichten kann, habe ich mehr Angst davor, dass er zurückkehrt, als davor, neben der Leiche zu sitzen. In der Gestalt, die neben mir aufgebahrt ist, überlagern sich kurzfristig zwei Welten, das Jetzt und die Vergangenheit, aber schon bewegt sich dieser Augenblick weiter und ist vorbei. Ich hoffe, dass seine Seele ungeachtet des ungeschickten Schneidens und Stocherns des Arztes seinen Körper schon in Frieden verlassen hat. Hoffentlich ist sie zu einer silbrigen Kontur über dem Bett geworden und hat sich wie Raureif aufgelöst, um an einen anderen Ort zu wandern. Aber natürlich werde ich das nie sicher wissen.
Bevor Mary Spurren in ihre Kammer geht, um ein bisschen zu schlafen, bringt sie mir eine Schale mit heißem, süßem Würzwein, aber er steht unberührt auf dem Tisch neben mir und wird kalt. Ich habe das Gefühl, John Blacklock zu beschützen, indem ich hier im flackernden Halbdunkel sitze, während die Nacht an die Fenster klopft. Es ist das Mindeste, was ich tun kann. Wie leid es mir tut, dass John Blacklock gestorben ist, als ich nicht zu Hause war.
»Hast du nach mir gerufen?«, frage ich laut, aber meine Stimme zittert in der Dunkelheit, und ich verstumme. Er weiß, was ich ihm hätte sagen sollen, und ich weiß es ebenfalls. Wie spät es ist, wie spät. Ich streiche mir über den Bauch, als er wieder hart wird, und zähle bis dreißig. Ich frage mich schon, ob meine Zeit gekommen ist, aber dann ist es vorüber, und ich atme weiter. Unten im Studierzimmer schlägt die Uhr vier.
* * *
Am nächsten Morgen ist Mrs. Blight verschwunden. Sie hat die Uhr aus dem Studierzimmer gestohlen und merkwürdigerweise auch den letzten Rest Kaffee. Den Schlüssel zum Schrank, in dem die Kaffeebohnen aufbewahrt werden, hat sie auf dem Küchentisch liegen lassen, zusammen mit dem Schlüssel zum Fliegenschrank und dem Haustürschlüssel. Verblüfft und zugleich erleichtert, weil sie weg ist, betrachte ich die aufgereihten Schlüssel. Wie konnte sie so viele Menschen wegen ihrer Diebereien verdammen und dann einfach Mr. Blacklocks Uhr mitnehmen, als gehörte sie ihr? Doch es ist die Stille im Flur vor dem Studierzimmer, die mich am meisten stört. Es ist, als würde man den Atem anhalten, wenn man nicht weiß, wie spät es ist. Ich habe heute nicht die Geduld, meine Ohren anzustrengen, um die Kirchenuhr draußen schlagen zu hören. Mrs. Blight hat das Fortschreiten der Zeit mit sich aus dem Haus mitgenommen. Sie muss es sehr eilig gehabt haben, denn sie hat ihre grauenvollen Broschüren auf der Anrichte liegen lassen.
37
Der schielende Bestatter kommt mit seinem Maßband, um die Maße für die Sarggröße aufzunehmen. Der Türklopfer an der Haustür wird mit schwarzem Krepp eingehüllt, und das Datum für das Begräbnis wird festgelegt. »Nachdem ich auch an dem Haushalt Maß genommen habe, vermute ich, dass die Ausgabe von Handschuhen an die Bediensteten nicht nötig sein wird«, sagt der Bestatter.
Mary Spurren kneift die Augen halb zu, als sie das hört. »Schlicht und respektvoll soll es sein. Er hatte nicht viel Zeit für Frömmigkeit, jedenfalls nicht für die Art, die sie von einem erwarten. Ich weiß nicht, wer da sein wird. Keine nennenswerten Hauptleidtragenden, keine Blutsverwandten, die kommen und sein Ableben betrauern, außer einer alten Tante, die zu gebrechlich für die Reise ist.«
Ich kann vor Traurigkeit nicht sprechen, als sie das sagt. Aber Feierlichkeit, denke ich, er hatte einen Sinn für Feierlichkeit – und für Zartgefühl. Ich erinnere mich, wie leidenschaftlich er einmal bei der Planung eines Feuerwerks wurde. Mr. Torré war da und ein pickeliger Schreiber, der versuchte, mit einem schlecht geschnittenen Federkiel Notizen auf ein Blatt zu kratzen. »An dieser Stelle muss es majestätisch sein«, hatte Mr. Blacklock beharrlich wiederholt. »Diese großen Fontänen brauchen eine würdevolle Präsentation, ihr Zerbersten erfolgt in einer Höhe und in einer Flugbahn, die Ehrerbietung verlangt.« Während er sprach, erhob er sich und stand wie ein dunkler Riese vor dem hellen Fenster. Der pickelige Schreiber blickte beinahe ehrfurchtsvoll zu ihm auf und vergaß aufzuschreiben, was gesagt wurde. Als sie gegangen waren, blieb Mr. Blacklock noch für ein paar Momente mit ausdruckslosem Gesicht sitzen und sah auf den Hof hinaus. Dann wandte er sich um und hob eine Kiste mit kleinen Knallkörpern
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