Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
wundes Gefühl schmerzhaft über meinen Knochen ausgebreitet.
»John Blacklock ist tot«, sage ich laut und wende mich vom Fenster ins Zimmer. Mary Spurren blinzelt. Dr. Kitstone unterbricht endlich seine Rede, und da er keinen Anlass sieht, sie fortzusetzen, geht er hinaus zum Treppenabsatz, um das Haus zu verlassen. Den Hut unter dem Arm und die Arzttasche in der Hand steigt er erleichtert die Stufen hinunter.
»Geben Sie meine Rechnung an seine Testamentsvollstrecker weiter«, ruft er uns noch mit ruhiger Stimme aus dem Flur zu. »Die Ausstellung des Totenscheins wird nicht schwierig sein, in einem Fall wie diesem.«
In einem Fall wie diesem, denke ich voller Zorn. Für ihn ist es ein Tag wie jeder andere.
* * *
Um sechs ist Mrs. Blight betrunken. Sie torkelt in der Küche herum, schluchzt mit wahrer Wollust und rührt in einem Topf mit Hammeleintopf, den niemand essen wird. Wie ich sie dafür hasse! Das kurze Einvernehmen zwischen uns ist vorüber. Was gibt ihr das Recht, so zu weinen, dass sie die Zähne bleckt? Als sie schwankend nach dem Bier greift, stößt sie die Flasche um, und der Inhalt ergießt sich über den Tisch. Das Essen auf dem Herd kocht über, zischt und brennt an. Ich kann es nicht ertragen. Es klopft an der Hintertür, und Mrs. Nott, die Waschfrau, erscheint, um uns mitzuteilen, dass sie unter diesen Umständen nicht mehr kommen wird. Wie rasch sich Neuigkeiten verbreiten, denke ich.
»Hier wird’s keine Arbeit mehr geben, und ich bin nur vorbeigekommen, um mein Beileid auszusprechen.« Sie richtet den Blick auf die Porterflasche, aber Mrs. Blight bietet ihr nichts an. Mrs. Nott dreht sich um, um zu gehen.
An der Tür hält sie inne und nickt in meine Richtung.
»Zweifellos ist sie mehr als ein bisschen betrübt«, sagt sie, als könnte ich sie nicht hören.
»Wer?«, fragt Mary Spurren und wischt sich über die Augen.
Die Waschfrau zeigt auf mich.
»Agnes? Wieso sie?« Mary Spurren sieht gekränkt aus. Ich trete einen Schritt vor.
»Was wollen Sie …?«
»Warst doch seine Geliebte und all das«, sagt Mrs. Nott.
»Seine Geliebte! Was in Gottes Namen …«
»Oh, ich hab euch gesehen«, sagt sie anklagend. »Dich und Blacklock, inflagrantisch war das.«
»Wovon reden Sie?«, frage ich schwach.
»Ich hab euch gesehen, mit meinen eigenen Augen«, sagt sie und strahlt. »Durchs Fenster, als ich mal meinen Bottich hier im Hof vergessen hatte und ihn früh am Morgen brauchte. Deshalb musste ich ihn holen kommen, obwohl es mitten in der Nacht war und stockdunkel.« Sie schaut sich in der Küche um, um sich unserer Aufmerksamkeit zu vergewissern. »Ich hab sie durch das erleuchtete Fenster gesehen.« Sie beobachtet meine Miene, und ihre Dreistigkeit nimmt zu. »Wein haben sie zusammen getrunken. Und sich umarmt. Sehr fest.« Sie gibt einen kleinen Seufzer von sich. »Wie ich sag, es muss sie am härtesten getroffen haben.«
Mrs. Blight und Mary Spurren starren mich an.
»Ich kann das erklären«, sage ich.
Ihr Starren bringt mich ganz durcheinander. Ich werde keine weitere Lüge auspacken, denke ich, ganz bestimmt nicht. »Ich hatte einen guten Grund!«, stoße ich schließlich hervor. »Es gibt vieles, was ihr nicht wisst!« Völlig verwirrt nehme ich mit brennenden Wangen eine Schöpfkelle in die Hand, ohne sie richtig zu sehen.
»Ich würde sagen«, brummt Mrs. Blight, »das sieht ziemlich eindeutig aus.« Mary Spurren schaut sie mit einer Art wissender Ungläubigkeit von der Seite an. Ihr erwartungsvolles Schweigen erfüllt den Raum.
»Man kann etwas sehen, aber nicht immer kann man alles, worauf der Blick gefallen ist, ganz verstehen«, sage ich leise. »Und man sollte sich kein Urteil bilden, wenn man die Geschichte hinter den Dingen nicht kennt.«
»Die Welt ist voller Rätsel … ist es nicht so?«, bemerkt Mrs. Blight, greift nach ihrer Flasche und nimmt einen Schluck. Die Luft scheint vor Zweifel unter Spannung zu stehen. Die Küchentür öffnet sich einen Spalt weit, und Joe Thomazin schlüpft herein.
Was müssen sie denken? Ich sitze tapfer aufrecht in meinem Elend und werde kein weiteres Wort mehr dazu sagen. Joe Thomazin hält mir seinen Becher hin, weil er etwas zu trinken aus dem Krug auf der Anrichte haben möchte. Sie können denken, was sie wollen. Ich habe es zugegeben, aber sie kennen nicht die Wahrheit hinter dem, was Mrs. Nott gesehen hat. Meine Hand zittert, als ich Ale in den Becher schenke, und ein wenig schwappt auf den Tisch. Bestimmt
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