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Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Borodale
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mein Leben geändert hat, denke ich. So weit weg von meinem Zuhause fühle ich mich klein und schwach. Das macht mich ganz benommen.
    »Was sollen wir nehmen?«, fragt Lettice Talbot munter. »Wie wäre es mit Austern?« Das Mädchen wischt mit einem Tuch den Tisch ab und bringt uns Austern, dazu harten, blassgelben Käse und Brot. Unter ihrer Haube quellen rote, fettige Haare hervor. Sie sieht mich an, als sie die Sachen abstellt, und geht wieder. Die Mahlzeit ist salzig und gut, und wir essen hungrig, ohne zu sprechen. Das Mädchen kehrt zurück, um den Teller mit den leeren Schalen abzuräumen, und Lettice Talbot klatscht in die Hände.
    »Brandy!«, schlägt sie vor.
    »Brandy?«, frage ich zweifelnd. Ich erwähne nicht, dass ich noch nie welchen probiert habe. Das Mädchen bringt einen Krug und schenkt uns ein Glas ein. In der Sonne schimmert die Flüssigkeit leuchtend braun. »Trink aus«, ermuntert Lettice Talbot mich und schiebt mir mit einem freundlichen Lächeln das Glas zu.
    »Aber dann haben Sie doch nichts«, sage ich.
    »Nein, nein«, entgegnet sie, »es ist für dich. Du siehst aus, als könntest du es brauchen! Und sag ruhig du zu mir.«
    Also trinke ich das Glas aus. Das Getränk brennt mir in der Kehle, als wäre Feuer darin.
    »Wohin fährst du denn, Schätzchen?«, fragt Lettice Talbot. Mir fällt zuerst keine Antwort ein. Als sie sich vorbeugt, entdecke ich ein kleines Medaillon, das an einem gelben Samtband um ihren Hals hängt und im Licht aufblitzt. Der Schmuckstein darauf bricht das Licht scharf in unterschiedliche Farben, wie ein Wassertropfen, der nach dem Regen das Sonnenlicht einfängt. Ihr Hals über dem Band ist weiß und glatt. Sie sieht, dass ich das Schmuckstück betrachte, und greift danach, als wollte sie es mit den Fingerspitzen verbergen.
    »Woher hast du so ein wunderschönes Ding?«, rufe ich aus.
    »Es ist nicht echt«, antwortet sie schnell. »Kein echter Diamant.« Und dann lächelt sie und fragt wieder nach meinem Ziel. Sie starrt mich an, als ich nicht antworte, und ich muss mit der Geschichte anfangen, die ich mir zurechtgelegt habe.
    »Ich reise kurzfristig nach London«, sage ich, »um eine ältere Kusine zu unterstützen, die schwer erkrankt ist.« Meine Stimme klingt, als würde ich einen auswendig gelernten Text aufsagen.
    »Wo wohnt sie denn?«, erkundigt sich Lettice Talbot. Ich überlege kurz.
    »Innerhalb der Stadtmauern. Sie lebt in einem kleinen Haus, und die Dienstmädchen mögen sie nicht. Sie haben alle ihren Dienst aufgekündigt. Jetzt ist sie ganz allein.« Ich verziehe mitleidig und besorgt das Gesicht, was mir nicht schwerfällt. Meine Finger berühren meine Lippen, als wüssten sie, dass ich Lügengeschichten erzähle.
    Mit einiger Mühe füge ich hinzu, dass sie jemanden brauche, der Wasser von der Pumpe holt und Brühe und Brei für sie kocht und den Abfall wegbringt, kurzum jemanden, der die schweren Tätigkeiten für sie erledigt, die sie selbst nicht schafft.
    »An welcher Krankheit leidet sie?«, fragt Lettice Talbot und schenkt mir Brandy aus dem Krug nach.
    »Bronchitis«, antworte ich ohne Zögern. Mit Bronchitis kenne ich mich aus: Meine Großmutter starb zusammengekrümmt und hustete dunklen Schleim aus. Ihre Lungen versagten, und dann haben sie sie erstickt, hat der Arzt gesagt. Es hat viel Geld gekostet, Dr. Twiner dazu zu bewegen, ins Haus zu kommen. Ich fand es skandalös, dass er seine Guineen verdiente, ganz gleich, ob seine Patienten am Leben blieben oder starben. Der bedauernde Ausdruck, den er dann auf seinem glänzenden, wohlgenährten Gesicht trug, war glatt und eingeübt und schmolz hinweg, sobald er seinen Fuß über die Schwelle hinaus auf den Weg setzte. Ich sah seiner kleiner werdenden Gestalt nach, die ihren polierten Stock schwang und den Weg hinunterging, bis die Ebereschen sie meinen Blicken entzog. Meine Mutter steckte seine Rechnung hinter das Salzfass, bevor sie sich ganz plötzlich vor das Feuer setzte, als hätte sie sich das Bein gebrochen, und eine ganze Woche lang weinte. Damals war sie noch anders. Es war noch möglich, zu erahnen, was sie über die Dinge dachte. Eine ganze Woche lang war sie zu erschöpft und traurig, um zu kochen oder sich um die Kleinen zu kümmern. Dann, am siebten Tag, dem Tag der Beerdigung, wurde ihr Mund schmal, und während der Bestattung versteifte sie merklich. Es war, als sorgte der kalte Luftzug, der unter der Kirchentür hindurchdrang, dafür, dass sie in mehr als einer Hinsicht

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