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Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Borodale
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durcheinandergeraten. Ich gebe keinen Ton von mir, und bald sind die Tränen auf meinen Wangen in der frischen Luft getrocknet.
    Manchmal ist ein Feuer auf der Heide gut für das Land, denke ich. Die schwarz gewordenen Pflanzen gehen gestärkt aus ihrer Feuerprobe hervor und werden wieder grün.
    Lettice Talbot sagt kein Wort, beugt sich aber vor und streicht mit ihrer Hand über meine. Dann legt sie die Hand wieder in den Schoß. Ihre Handschuhe sind aus weichem, neuem Ziegenleder. An den Stellen, wo die Tierhaare herauswuchsen, sind kleine Löcher in dem Leder. Ziegenleder ist sehr fein und geschmeidig und kann leicht zerreißen. Im Gasthaus habe ich gesehen, wie weiß ihre Finger sind, als hätte sie seit langer Zeit nichts Schmutziges berührt und auch keine Arbeiten mit den Händen verrichtet. Bedrückt erinnere ich mich auch daran, dass ihre weiße Haut an den Handgelenken von einem Kranz blau-roter Blutergüsse verfärbt war, die ganz frisch wirkten.
    Schließlich nicke ich ein, und als ich aufwache, ruht ihre Hand wieder auf meiner, so leicht, dass ich die Berührung kaum spüre. Ihre Augen sind auf den Horizont gerichtet, als hätte sie ihn seit Stunden betrachtet.
    »Hast du auch ein bisschen geschlafen?«, frage ich und ziehe meine Hand fort. Sie schüttelt den Kopf.
    »Und woher kommst du?«, erkundige ich mich, und sie lächelt mich an, als hätte sie mich nicht gehört oder wäre tief in Gedanken an etwas anderes versunken und könnte nicht davon ablassen. »Ich habe …«, erwidert sie dann mit ausdrucksloser Miene und sieht um sich, »… einen Bekannten in dieser Grafschaft. Ich hatte hier geschäftlich zu tun.« Danach sagt sie lange Zeit nichts mehr.
    Die Wolken am Himmel werden dichter, aber es fällt kein Regen.
    »Ist ein milder Tag, für November«, stellen die anderen Frauen fest und nicken hoffnungsvoll, als könnten sie den Regen verhindern, indem sie es sich wünschten. Ihre Köpfe bewegen sich ruckartig und wackeln, wenn der Wagen über Furchen rollt. Die unangenehme Frau und ihre Tochter haben einen Kuchen ausgepackt, den sie sich teilen. Die Tochter kaut verträumt, und ich fange einen Blick der dicken Frau auf, die den Kuchen mit hängenden Mundwinkeln beäugt, als gehörte er eigentlich ihr und sie hätten ihn ihr gestohlen.
    Lettice Talbot gähnt und reibt sich die schmalen Schultern. »Jetzt ist es nicht mehr weit«, sagt sie zu mir.
    Links von uns breiten sich die Sümpfe aus. Sie riechen nach Ebbe und salzigem Schlick. Das Marschland und die Weiler scheinen mir eine trostlose Umgebung für eine Stadt zu sein. Dünne Schilfbüschel und Riedgras verleihen dem nassen Land mit den Wassergräben eine grüngraue Farbe. Ich sehe ein paar Vögel – Schnepfen und Störche. Ich sehe einen Reiher, der im Flug unordentlich die Beine nachzieht. Wir fahren durch einen weiteren Weiler und eine Anhöhe hinauf. Die Häuser sind aus Backstein statt aus Flint, und viele sind von schmucken Gärten umgeben. Und plötzlich, als die Straße ansteigt und eine Biegung nach rechts macht, breitet sich die Stadt zu unseren Füßen aus. Ich bin verblüfft. Schwankend stehe ich auf, halte mich am Geländer fest und versuche, über die Ladung der Kutsche hinweg nach vorn zu schauen.
    »Ich kann es kaum glauben!«, rufe ich laut und drehe mich zu Lettice Talbot um.
    »Es ist nur eine große, stinkende Stadt«, entgegnet sie amüsiert.
    »Und dieser Fluss da ist die Themse!«, hauche ich atemlos. In dem schimmernden Wasser, das aussieht wie ein sich schlängelnder See, spiegelt sich der Himmel wider, winzige Schwärme aus Booten und Fähren kräuseln die Oberfläche. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können, obwohl der Wagen holpert und schaukelt. Es gibt so viele Häuser, dass die Stadt am anderen Ufer bis zum Wasser hinunterreicht. Spitze Kirchtürme und Kuppeln ragen aus dem Häusermeer hervor.
    Die Sonne wirft einen orangefarbenen Schein auf das Wasser.
    Ich bin ungeduldig. Wir erreichen Southwark, und unser Vorankommen auf der Hauptstraße wird durch das Gedränge rund um die Schlachtbank behindert. Ich sehe einen Fleischer, der, gerade als wir vorüberkommen, ein Hackbeil mit einem blutigen Tuch abwischt. Ein anderer Fleischer drückt seine Finger auf die Wirbelsäule eines toten Schweines, als suchte er nach einer weichen Stelle, um sein Messer zwischen die Wirbel zu stechen. Ich habe noch nie so viel Fleisch auf einmal gesehen: reihenweise Schweine, meterweise schlaffes

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