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Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Borodale
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getan hätte, wenn ich Krähen dabei erwischt hätte, wie sie die Weichteile eines Lamms auf dem Feld hinter dem Haus fraßen. Ich fasse mein Bündel fester.
    Er folgt mir hartnäckig. Vielleicht kann er meine Münzen riechen. Sein Kiefer bewegt sich, als kaute er auf den Stummeln seiner Zähne. Warum kommt mir niemand zu Hilfe? Hier sind doch überall Menschen.
    Aber dann spricht er mich an, und seine Stimme klingt freundlich und krächzend.
    »Haste was zu trinken, Liebes?«, fragt er. »Es ist nur, dass ich einen solchen Durst hab. Dachte, du hättest vielleicht was.«
    Beschämt schüttle ich den Kopf. Er spuckt eine Art schwarzen Schleim auf den Boden und ruft mir im Davonschlurfen etwas zu. Ich höre es erst nicht richtig, doch dann begreife ich voller Schrecken seine Worte.
    »Damit nicht die Finsternis euch überfalle«, sagt er. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit nicht die Finsternis euch überfalle.
    Es ist schon spät.

7

    In der Nähe schlägt eine Kirchenglocke einmal. Das Geräusch ist kurz und harsch, wie ein Stock, der auf eine gesprungene Pfanne trifft.
    Unruhig lege ich eine Hand auf meinen Rock an die Stelle, an der das Geld eingenäht ist. Im gleichen Moment erregt eine alte Frau, die Orangen aus einer Kiste auf dem schmutzigen Pflaster verkauft, meine Aufmerksamkeit. Ihre Augen in dem blassen Gesicht starren mich unverwandt an, selbst als sie einer Frau Orangen reicht und die gezahlten Münzen in die Tasche steckt. Ein Schaudern überkommt mich. Als ich an ihr vorübereile, sehe ich mit beschämter Erleichterung, dass sie blind ist. Ihre Augen sind so milchig wie die eines gekochten Fisches.
    Das Haus, in dem Lettice Talbot wohnt, kann nicht mehr weit sein.
    Ich bleibe wieder stehen und studiere die Wegbeschreibung, die sie mir gegeben hat. »Bieg rechts ab, geh die lange Durchgangsstraße bis zur Kirche, dann bieg um die Ecke.« Aber inzwischen ist mein Gefühl für Entfernungen durcheinandergeraten. Ich kann sie nicht mehr abschätzen, weil es keine Bäume am Horizont gibt und keine Stille zwischen den Schritten. Durch das Geschrei der vielen Menschen kann ich meine eigenen Schritte nicht hören. Ich bin unsichtbar. Der Straßenlärm ist so laut wie ein Fluss, der im Winter nach einer Woche Regen Hochwasser führt. Es ist zu viel, so, als würden alle Lieder, die ich je gehört habe, gleichzeitig in meinem Kopf gesungen.
    Ich werde angerempelt und nicht beachtet. Es gibt offene Luken zu Küchen und Kellern tief im Boden unter der Straße. Ich erhasche Blicke auf Tonnen und Fässer, rieche Fleisch, Dampf, abgestandene Getränke, schmutziges Wasser. Ich sehe Hände, die an einer Schürze abgewischt werden, jemanden, der einen schweren, randvollen Topf ein paar Stufen hinaufträgt, und einen jammernden Säugling, der an die Brust gelegt wird. Durch eine andere Luke sehe ich einen gebückten, bärtigen Mann, der an einer Werkbank einen Schuh herstellt – die raschen Hammerschläge, mit denen er Nägel in die Ledersohle klopft, klingen bereits wie Schritte auf dem Kopfsteinpflaster.
    Eine andere Kirchenglocke schlägt die Viertelstunde oder die halbe Stunde.
    Ich rieche einen Metzgerladen und sehe aufgereihte Singvögel. Braune Lerchen und Drosseln hängen an Haken an Fensterläden, die zur Straße hin geöffnet sind. »Saul Pinnington, Lieferant von Wild und Fleisch für den Adel«. Eine Hand, die mit dunklen Blutspritzern gesprenkelt ist, wird dicht neben mir aus dem Fenster gestreckt, um ein glänzendes Fasanenpaar vom Haken zu nehmen. Als ich hineinspähe, höre ich das Geräusch eines Hackbeils, das durch Fleisch und Knochen dringt. Ich sollte den marmorweißen Laden betreten und nach dem Weg fragen.
    Ich atme die Metzgerluft ein.
    Doch dann tritt plötzlich eine gewöhnlich aussehende Frau aus der Tür, und ich gehe weiter.
    Ich komme an dem verrauchten Laden eines Kerzenmachers vorbei und an einem Balladenverkäufer, der Lieder vom Blatt absingt. Ich frage immer noch nicht nach dem Weg. Es fängt an zu regnen, und ich ducke mich unter das Vordach eines Tuchladens. »Holling’s Textilwaren. Geblümt oder satiniert. Alle Arten der besten Spitalfield-Seide, Tressen, Chintz und Paisley«. Ann wäre begeistert.
    Im Ladeninneren steht ein dünner, eleganter Mann, gestreift wie Schilfgras. Er sieht auf und zieht ein finsteres Gesicht, als er mich entdeckt. Seine große Stoffschere hält mitten im Schneiden eines Samtstoffes inne. Ich bin also doch nicht unsichtbar, denke ich und trete

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