Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
gerufen und mir zugezwinkert. Er saß auf der Heckklappe von Mr. Fittons Wagen, der hoch mit Kohl und Gemüse von Hasler’s Steading beladen war. Den Filzhut auf seinem blonden Schopf hatte er nach hinten geschoben. Mein Magen zog sich vor Überraschung und Nervosität zusammen. Auf dem ganzen Heimweg habe ich darüber nachgedacht und weder auf Ann neben mir noch auf die frischen Frühlingsblumen geachtet, die sie am Wegesrand für unsere Mutter gepflückt hatte. Man denkt zu wenig über solche Dinge nach, bis es zu spät ist. Als ich in jener Nacht nicht schlafen konnte, hatte ich jedoch an John Glincys Zwinkern gedacht. Die Erinnerung war wie eine Schwellung oder ein Druck auf meiner Brust, und ich wusste nicht, ob ich das angenehm finden sollte oder nicht. Ich wälzte mich im Bett herum, um auf der Strohmatratze eine bequeme Lage zu finden, bis Lil aufwachte und mich grollend bat, endlich stillzuliegen. Schließlich hatte ich das Ganze als kindische Fantasie, auf die ich gut verzichten konnte, aus meinen Gedanken verdrängt.
Wieder schlägt eine Kirchturmuhr.
Der Regen wird stärker. Ich wandere weiter, weil ich nicht weiß, was ich sonst tun soll. Ich verlagere mein Bündel von einer Schulter auf die andere. Mir ist ganz schwindelig vor Durst. Ich muss mich ausruhen. Ohne nachzudenken, gehe ich nach links durch einen Torbogen, der gerade breit genug für einen Wagen ist, und finde mich in einer kleineren Straße mit Kopfsteinpflaster wieder. Es ist eine Sackgasse. Der Lärm des Verkehrs ist hier nur noch gedämpft zu hören. Die Gebäude auf beiden Seiten sehen alt aus, aber sie sind nicht heruntergekommen und riechen auch nicht nach Fäulnis. Es sind großzügige Fachwerkhäuser mit kleinen, bleiverglasten Fenstern, die in den verputzten Fassaden verteilt sind. Ein Haus liegt leicht zurückgesetzt von der Straße, als wollte es dem großen Walnussbaum, der zwischen den Pflastersteinen wächst, Platz machen. Ich bin überrascht und froh, einen Baum zu sehen, und stütze mich mit der Hand an der glatten, rissigen Rinde des Stammes ab, um Atem zu schöpfen.
Über der Eingangstür des Hauses hinter dem Walnussbaum entdecke ich ein sonderbares Schild, das quietschend an einer Eisenhalterung hängt. Es zeigt ein gemaltes Bild eines kauernden Mannes, der mit Blättern bedeckt ist und einen leuchtenden Stern hält. Das Schild glänzt, weil es regennass ist und das Licht einfängt. Das schwache Quietschen, das es von sich gibt, ist regelmäßig und beruhigend wie Vogelgezwitscher. Als mein Blick auf eine kleine, handgeschriebene Tafel fällt, die an der Tür befestigt ist, bleibt mir fast das Herz stehen. Ich löse mich von dem Baum und steige die Steinstufen hinauf, um im Dämmerlicht zu lesen, was dort geschrieben steht: »J. Blacklock. Haushälterin für kleinen Haushalt gesucht«.
Rasch breitet sich eine bange Hoffnung in mir aus, obwohl ich erkennen kann, dass die Buchstaben verblasst sind, als wären sie schon vor geraumer Zeit mit Kreide geschrieben worden. Geschwächt, wie ich bin, versuche ich zu entscheiden, ob ich mich dafür eigne. Bin ich alt genug für eine solche Stellung? Welche Erfahrung braucht man dafür? Ich kann einen Haushalt ganz gut führen, denke ich, und außerdem habe ich die Wegbeschreibung zu Lettice Talbots Wohnung verloren.
Das Schild mit dem wilden Mann quietscht lauter, als eine kalte Brise durch die Straße weht und den Regen einen Moment lang seitwärts fallen lässt. Ich ziehe meinen nassen Umhang enger um meine Schultern. Es erscheint mir unmöglich weiterzugehen – es ist schon anstrengend genug, die Hand zu heben und, so fest ich kann, an die Tür zu klopfen. Meine Fingerknöchel sind ganz weiß, als ich nach dem Türklopfer greife. Die Tür ist breit und wird von großen Eisenbeschlägen zusammengehalten. Mein Klopfen klingt wie der dumpfe Schlag einer Axt auf Holz in großer Entfernung. Sicher wird niemand es hören.
Aber dann vernehme ich Schritte, und die Riegel werden zurückgeschoben.
Ich schlucke und mache mich bereit. Irgendwie erwarte ich, dass ein Dienstmädchen die Tür öffnet, doch dann steht zu meiner Überraschung ein großer Mann in derben Stiefeln und Weste vor mir. Seine Hemdsärmel sind über seinen kräftigen Unterarmen hochgekrempelt, als hätte ich ihn bei der Arbeit unterbrochen. An einer Wange hat er eine offene rote Wunde, wo er sich die Haut verbrannt haben muss. Er trägt eine zerzauste dunkle Perücke – oder vielleicht sind es auch seine
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