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Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Borodale
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sie inzwischen an ihrem unterschiedlichen Klang erkennen.
    Eines Nachts jedoch erstarre ich vor Schreck, als eine seltsame tiefe Glocke läutet, die die anderen Glocken um Mitternacht übertönt. Sie klingt wie ein böses Omen. Gott helfe uns, murmle ich vor mich hin, als ich aus dem Bett klettere und mich in meinen Schal wickle. Was kann das bedeuten? Wenn zu Hause die Kirchenglocke unerwartet mitten in der Nacht läutet, kann das nur auf irgendein Unglück hinweisen. Ich eile aus meiner Kammer und fliege die schiefe Stiege zur Dachkammer hinauf. Ich klopfe an Mary Spurrens Tür.
    »Was ist das für eine Glocke?«, frage ich atemlos, als sie die Tür einen Spaltbreit öffnet.
    »Glocke?«, sagt sie töricht. Sie reibt sich den großen Kopf, ich habe sie geweckt. Wir lauschen beide angestrengt, aber der schreckliche Klang der Glocke hat aufgehört. Ihr Unterkleid sieht im Mondlicht gespenstisch aus.
    »Ist es Mitternacht?«, fragt sie.
    »Ja.«
    »Dann war es wahrscheinlich die Glocke von St. Sepulchre. Bestimmt erfahren wir morgen, wer baumeln wird.« Sie reißt ihren Mund auf und gähnt.
    »Kein Unglück also?«, frage ich, weil ich nicht weiß, was sie meint. Inzwischen zittere ich vor Kälte.
    »Nicht für uns«, sagt sie mürrisch und zieht die Tür zu.
    Ich gehe auf Zehenspitzen wieder hinunter.
    Als ich um die Ecke biege, höre ich plötzlich Dielen knarren, und Mr. Blacklock taucht im Hausflur aus der Dunkelheit auf. Beinahe kreische ich vor Schreck laut auf. Ich blinzle, weil seine flackernde Kerze mich blendet.
    Er starrt mich an und sagt kein Wort. Dann räuspert er sich und lässt mich vorbei. »Gute Nacht, Sir«, sage ich, es ist nicht mehr als ein Flüstern. Ich taste nach dem Türriegel, und in meiner Kammer wird mir abwechselnd heiß und kalt vor Scham. Was muss er von mir denken, wie ich da nur mit Unterkleid und Umschlagtuch bekleidet durch die Dunkelheit geschlichen bin, die Haare offen und über die Schultern fallend und außerdem barfuß. Ich muss ausgesehen haben wie eine Verrückte. Es war fast so, als hätte er mein Gesicht noch nie gesehen, so wild und finster hat er mich angestarrt. Ich habe ihn wohl erschreckt.
    Am frühen Morgen erwache ich von den Straßengeräuschen. Wagen klappern, ein Hund bellt, St. Alban, St. Mary the Virgin und St. Stephen schlagen die Stunde. Die braune Wolldecke kratzt mich an der Wange. Das Wasser, das ich mir aus dem Krug ins Gesicht spritze, lässt mich vor Kälte aufkeuchen. Es stammt aus der Pumpe am Mellow Square und ist wegen des verrosteten Eisens leicht orange gefärbt. Es schmeckt nach Moder und Metall. Heute bin ich mit Heimweh aufgewacht, und meine Beine fühlen sich an, als wäre ich meilenweit gegangen, um dorthin zu gelangen.
    Unten in der Werkstatt erwähne ich Mr. Blacklock gegenüber die Glocke.
    »Warum hat sie sich so seltsam angehört, Sir?«, frage ich. »Es war gespenstisch.«
    »Es bedeutet, dass jemand gehängt wird. Die Glocke soll die Herzen der Menschen mit Furcht erfüllen.«
    »Gehängt«, sage ich und schlucke.
    »In Tyburn. Du kannst hingehen, wenn du möchtest. Ich habe keinen Grund, dich daran zu hindern.«
    »Hingehen?«, frage ich verwirrt. Ich kann sein Gesicht nicht sehen.
    »Zu der Hinrichtung. Es ist ein Spektakel, das man sich ansehen kann.«
    Joe Thomazin steht neben mir. Obwohl er nichts von den Münzen wissen kann, streckt er die Hand aus und berührt die Stelle außen auf meinen Röcken, wo der rote Faden durchscheint. Fragend sieht er zu mir auf.
    Mit seinem ernsten Blick sieht er William so ähnlich, dass mich plötzlich ein zärtliches Vertrauen überkommt und ich ihm ins Ohr flüstere: »Da bewahre ich mein Geheimnis auf!« Natürlich antwortet er nicht, aber noch einmal berühren seine Finger leicht die Stelle. Nicht forschend, als wollte er herausfinden, was sich darunter befindet, sondern mehr, als erinnerte er mich daran, dass er Geheimnisse gut für sich behalten kann. Für den Rest des Tages folgt er mir wie ein Schatten, sodass ich beinahe über ihn stolpere, wenn ich mich unvermutet umdrehe. Einmal lächle ich ihn an, als er mir den Reinigungspinsel reicht, der unter den Tisch gefallen ist, und ich bin fast sicher, dass er mein Lächeln ganz schwach erwidert.
    Ich bin froh, dass er später nicht in der Küche ist und nicht hört, welche Wendung unser Gespräch nimmt.
    »Ja, Leichen, ich hab schon ein paar davon gesehen«, sagt Mary Spurren und wischt sich die Nase am Ärmel ab. »Und du, Agnes?«
    Ich

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