Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
weiteren Tag zu spät kommen, solange du bei mir beschäftigt bist.«
»Das werde ich nicht, Sir«, verspreche ich. Mein Herz klopft vor Schuldbewusstsein. Ich versuche, es zu erklären. »Ich habe nach …« Aber Mr. Blacklock hebt die Hand.
»Verschone mich!«, sagt er barsch.
An meiner Werkbank lausche ich angestrengt, ob jemand an die Tür klopft.
Warum hat niemand nach mir gesucht?
Vielleicht haben sie es doch getan. Mein Bruder Ab? John Glincy? Oder der Dorfpolizist der Gemeinde Washington, der von dem Diebstahl von Mrs. Mellins Münzen Wind bekommen hat? Ich muss auf der Hut sein vor der Gefahr, entdeckt zu werden. Aber ich fürchte, ich werde es nicht merken, wenn es so weit ist.
* * *
Mrs. Blight ist geschwätzig. Während sie arbeitet, erfüllt sie die Küche mit Lärm. Ihre Zähne müssen schon ganz locker sein von ihren ätzenden Wortströmen. Es ist erstaunlich, dass sie nicht einfach ausfallen. Alle sind erleichtert, wenn sie am frühen Nachmittag neben dem Feuer einnickt. Der Mund steht ihr offen, und wenn sie schnarcht, kann ich fast ihre Zähne klappern hören. Sie ist ziemlich dick, sieht aber aus wie Teig, der zu lange gegangen und dann zusammengefallen ist. Ihr Kinn hängt vom Kiefer und führt ein Eigenleben, losgelöst vom Rest des Gesichts.
Während wir die Teller abspülen, frage ich Mary Spurren, ob sie weiß, warum Mr. Blacklock nicht verheiratet ist.
Sie blinzelt kurz.
»Vor vier Jahren hatte Mr. Blacklock eine Frau.« Sie sieht nicht von ihrer Spülschüssel auf. »Sie ist gestorben.«
»Sie ist gestorben!«, wiederhole ich.
»Er hat die Ärzte geholt.«
»Was hatte sie?«
Langsam schüttelt Mary Spurren ihren großen Kopf. »Da war Blut, so viel Blut. Ich hab es da draußen weggewaschen.« Sie nickt in Richtung Hof. »Am Ende hat er sie aus den Laken hochgehoben und so laut geweint, dass einem die Haare zu Berge standen. Ihre Arme hingen locker aus dem Bett. Ich bin rausgegangen, bis er aufgehört hat.« Sie schnieft und wischt sich die Nase am Ärmel ab. »Als meine Mutter gestorben ist, haben wir sie einfach zugedeckt, bis die Leiche begraben werden konnte.« Eine Kohle im Feuer sprüht Funken. »Mein Vater ist wie immer zur Arbeit gegangen, und nach ein oder zwei Jahren hat er Alice Ebbs geheiratet, eine Witwe von nebenan.«
Ich frage mich unwillkürlich, ob sie inzwischen Mrs. Mellins Leiche entdeckt haben, die ganz kalt vor einem erloschenen Herd saß. Vielleicht war sie vornüber auf den Fußboden gekippt. Ich muss schlucken.
»Es tut mir leid, dass deine Mutter gestorben ist.« Mary Spurren antwortet nicht. Sie gießt Wasser über einen Topf und stellt ihn auf den Kopf, damit er abtropfen kann. Es ist still, und dann gibt Mrs. Blights Stuhl ein kleines Knarren von sich. Als ich einen Blick auf sie werfe, merke ich, dass sie für eine Schlafende zu flach und zu schnell atmet. Sie hat die Augen einen Spalt geöffnet und beobachtet unsere Bewegungen. Ich muss vorsichtig damit sein, was ich in ihrer Anwesenheit sage. Sie ist wie eine Kröte, eine fette kalte Kröte, die sich von Klatsch und Tratsch ernährt. Als wir fertig sind, bin ich froh, dass ich wieder in die Werkstatt gehen kann, weg von ihrer Neugier.
»Fertige Feuerwerkskörper werden im Sicherheitsschrank aufbewahrt«, erklärt Mr. Blacklock, als ich eintrete. »Komm mit!«, sagt er barsch, und ich folge ihm hinaus über den Hof zu einem niedrigen Backsteingebäude hinter der dürren Linde. Mit einem weiteren großen Schlüssel sperrt Mr. Blacklock die Tür auf. Drinnen ist es dämmrig. »Pass auf, wo du hintrittst!«, warnt er.
»Der Sicherheitsschrank ist mit Blei ausgekleidet«, sagt er und öffnet einen riesigen Schrank, der so hoch wie ich ist. Die Tür ist wie ein wohl geölter Kiefer, der weit aufgeht. Zuerst verstehe ich nicht, was ich vor mir sehe. Alles ist so ordentlich wie in einem Bienenstock: Wie Honigwaben reihen sich quadratische Fächer aneinander, die mit Päckchen gefüllt sind. Mr. Blacklock öffnet mit demselben großen Schlüssel einen weiteren Schrank.
»Raketen«, sagt er. Der Schrank quillt über von Stäben.
»Ein Bukett kann bis zu sechshundert Raketen umfassen, oder sogar mehr für königliche Feiern oder sonstige besondere Anlässe. Vor drei Jahren, bei der großen Friedensfeier im Green Park, haben die Ruggieris mehr als zehntausend Feuerwerksraketen in die Luft geschossen.« Ich bin verblüfft, auch wenn ich nicht richtig verstehe, was so eine Rakete eigentlich
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