Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
traue dieser Frau kein bisschen. Sie wartet darauf, dass mein Fehler sichtbar wird, für sie und für jedermann, dessen bin ich mir sicher.
»Hämorrhoiden«, fügt sie, umgeben von einem süßlichen Geruch nach Likör, hinzu. »Ich leide unter Hämorrhoiden, und hat irgendjemand deshalb Mitleid mit mir? Nein.« Sie schlägt mit dem Löffel gegen den Schmortopf.
* * *
London ist keine besonders große Stadt. Die Unterkunft von Lettice Talbot kann gewiss nicht weit entfernt sein. Warum begegne ich ihr nicht auf der Straße bei den üblichen Besorgungen, wenn ich Pakete mit Antimon aus der Apotheke hole oder mit einem Korb zum Kräutermarkt in der Nähe vom Leadenhall Market gehe, um Kohlrüben oder Steckrüben zu kaufen?
»Kannst du lesen?«, fragt Mrs. Blight mit schwerer Zunge.
»Ich habe keine Zeit, Mrs. Blight«, erwidere ich und verteile eilig die Tassen auf dem Tisch. Ich denke an Mr. Blacklocks wissenschaftliche Bücher auf dem Regal in seinem Studierzimmer. Sie sind vollgestopft mit Wissen. Wie gerne würde ich sie lesen!
»Unten beim Globe Theatre gibt es für vier Pennys was Gutes zum Lesen«, fährt Mrs. Blight unbeeindruckt fort, greift nach einem gedruckten Heftchen und wedelt damit herum. »Die Prozesse der Rechtsprechung«, verkündet sie wichtigtuerisch. »Alle guten Happen aus der Gazette zusammengefasst, nur noch besser.« Sie salzt das Fleisch und schmatzt. »Sie schreiben über jede Sitzung im Old Bailey, haargenau – sie lassen keine Kleinigkeit aus.« Und ich muss ihrem stockenden Redefluss zuhören, als sie vorliest: »William Crofts … angeklagt des Diebstahls von zwei Gloucestershire-Käselaiben, Eigentum von John Curtis, Käsehändler. ›Ich war in meiner Stube, von der aus ich meinen ganzen Laden überblicken kann. Ich habe gesehen, wie der Gefangene hereingekommen ist und den Käse genommen hat …‹« Die Kohlen flackern auf.
»Urteil: schuldig. Deportation.«
»Was für eine harte Strafe!«, sage ich betroffen.
»Sie bekommen, was sie verdienen«, entgegnet Mrs. Blight. »Anne Fox, angeklagt des Diebstahls von einem Goldring und einem Paar Silberknöpfen, zweieinhalb Guineen, Eigentum von …« Sie verstummt allmählich und liest einen Augenblick lang schweigend weiter. »Offensichtlich hat sie den Ring und die Knöpfe als ihr Eigentum verpfändet. ›Sie haben mich als Dienstmädchen eingestellt, für eine halbe Guinee für ein halbes Jahr. Als die Zeit vorbei war, habe ich meinen Lohn verlangt, und er sagte, wenn ich nicht den Mund hielte, würde er dafür sorgen, dass ich im Gefängnis in Newgate lande.‹«
»Wir sind spät dran mit dem Essen«, unterbreche ich sie und schlucke. Ich will mir das nicht weiter anhören.
»Und nach Hinrichtungen durch Erhängen gibt es für zwei Pennys mehr auch noch den Bericht über die letzten Worte, die sie zum Priester sagen – das ist höchst aufschlussreich.« Sie fügt hinzu: »Du kannst dir die Hefte ausleihen, wenn ich damit durch bin. Ich bring sie mit. Leg die Füße hoch, wenn du deinen halben freien Tag hast, und mach es dir vor dem Feuer gemütlich. Täte dir gut, einen Schimmer von der bösen Welt da draußen zu bekommen.«
»Nein, danke«, sage ich schwach.
»Wie du willst«, schnieft sie.
Es ist nicht so, als würde ich nichts von der Welt mitbekommen, finde ich. Die Zeit vergeht, und weil die Umstände mit jedem Tag dringlicher werden, brauche ich einen Plan. Ich halte die ganze Zeit Ausschau nach Lettice Talbot.
»Welche Strafe wurde über diese arme Frau verhängt, die ihren Lohn haben wollte?«, frage ich Mrs. Blight später, gegen meinen Willen. Mrs. Blight nimmt ihr schreckliches Pamphlet zur Hand und schlägt es sofort auf, als hätte sie schon damit gerechnet, dass meine Neugier ihren hässlichen Kopf reckt. Sie hickst.
»Anne Fox? Die gierige Diebin?«
Und sie liest triumphierend vor: »Schuldig. Tod.«
* * *
Cornelius Soul liefert uns nun wöchentlich Schwarzpulver, bis wir so viel auf Lager haben, dass Mr. Blacklock ihm mitteilen muss, dass wir eine Weile keine Lieferungen mehr benötigen. »Ihr neues Unternehmen ist etwas zu eifrig bei der Verteilung der Waren«, sagt er mit einer Ironie, die ich nicht verstehe. Mr. Soul ist nicht beleidigt, und er zwinkert mir zu, wie er das immer tut.
»Ich habe gehört, dass Sie momentan mit eher unfeinen Leuten verkehren«, sagt Mr. Blacklock und setzt sich auf den Hocker. Seine Kiefermuskeln sind vor Missmut angespannt. Cornelius Soul sieht
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