Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)
Frechheit«, sagt Mrs. Blight gerade. Ich weiß, dass sie nicht mich meinen, aber ich fühle mich trotzdem unwohl.
»Ist in der Seven Dials Road gelandet, in den Schnapskneipen. Dort, wo die entlassenen Soldaten und die Seeleute sich rumtreiben. Eine Menge Handelsverkehr da. Kaum von der Art, mit der sie gerechnet hat.«
»Obwohl es sogar in der besseren Gesellschaft die finstersten Moralvorstellungen gibt. Sie machen ein Spiel aus dem, was nur zwischen Eheleuten sein sollte.«
Mary Spurren kichert.
»Wenn die Anstandswauwaus weg sind, nach dem Kartenspiel und dem Brandy …« Mrs. Blight macht eine bedeutungsschwangere Pause. »Dann geht es richtig los! Beste Unterhaltung hinter den Badehäusern? Liederlich nenn ich das.« Mrs. Blight klappert vor Empörung mit den Zähnen. »Unglaublich, was für Dinge die Mädchen heutzutage für Geld tun müssen«, klagt sie.
»Was tun sie denn?«, unterbreche ich sie beklommen.
Mrs. Blight beugt sich vor, und ihr Busen bebt über dem bemehlten Teig. Der kleine Flachmann in ihrer Tasche schlägt klappernd gegen den Stuhl.
»In Gesellschaft! Splitternackt!«, zischt sie. »Sie liegt gefesselt auf dem Rücken auf einer riesigen Silberplatte! Wie ein großes saftiges Hühnchen!« Mir klappt die Kinnlade herunter. »Sie wird im Kreis gedreht wie ein kleiner plumper Kreisel auf dem Tisch mitten im Gedränge.« Sie wischt sich mit dem Handrücken den Mund ab. »Und der Gewinner bekommt diese Niete!« Sie ist außer sich. Mary Spurren prustet los. Auf ihren blassen Wangen prangen rote Flecken.
Mit einem scharfen Geräusch öffnet sich plötzlich die Tür, und Mr. Blacklock kommt herein. Mrs. Blight und Mary Spurren geben sich mühelos den Anschein zu arbeiten.
»Ja, Mr. Blacklock, Ihr Kaffee ist gleich fertig. Agnes wird sich darum kümmern.« Mrs. Blights Stimme klingt ausdruckslos, als hätte sie sich mit Küchenangelegenheiten beschäftigt. Ich stecke den Kopf in den Schrank und tue so, als würde ich etwas suchen. Kann Mr. Blacklock uns gehört haben? Ich schäme mich. Die Tür schlägt zu, als er den Raum verlässt. Ich schütte eine Handvoll Kaffeebohnen in die Mühle, wie ich es bei Mary gesehen habe, und beginne zu mahlen.
»Ich hab schlimme Kopfschmerzen«, klagt Mrs. Blight und fährt sich mit dem Ärmel über die breite Stirn. Sie hebt den Teig mit dem Nudelholz an und legt ihn auf das Blech mit dem Hühnchen. Dann schneidet sie ihn am Rand ein, und die Überreste fallen langsam in dicken Spiralen auf die Steinplatte. Ihre handwerklich anspruchsvolle Aufgabe bringt sie einen Augenblick lang zum Schweigen, und sie atmet schwer, als sie die Ränder der Pastete geschickt mit Kniffen verschließt.
Als ich mich in der Stille vom Herd abwende, um Wasser über die gemahlenen Bohnen zu gießen, höre ich deutlich, wie die Münzen in meinem Mieder klirren. Ich bleibe stocksteif stehen. Hat Mrs. Blight es auch gehört? Dieses unverkennbare metallische Geräusch, das verrät, dass ich Geld am Körper versteckt habe? In dem Moment, in dem sie aufblickt, rufe ich absurderweise aus: »Ich mag es!«
»Was?« Mrs. Blight kneift die Augen zusammen.
Ich zeige auf die Pastete. »Diesen … frischen Teiggeruch der Pastete, bevor sie gebacken wird.«
»Teiggeruch? Teig? Hör sie dir an!« Mrs. Blights spöttisches Gelächter hallt in meinem Kopf wider. Sie senkt die Stimme.
»Er riecht wie die Flüssigkeit eines Mannes, dieser Teig«, flüstert sie und zwinkert Mary Spurren zu.
»Wie was?« Das Blut schießt mir ins Gesicht. »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, erwidere ich. Mary Spurren prustet wieder. Mrs. Blight blickt triumphierend, als hätte sie mich erwischt.
Sie ist eine vulgäre Frau, denke ich und bin erleichtert, als ich den Kaffeetopf nehmen und durch den Flur in Mr. Blacklocks Studierzimmer flüchten kann. Ich stelle die Tassen und den Zucker zurecht und klappe die Läden auf, sodass die Wintersonne auf den Schreibtisch scheint. Ich sehe mich um. An der gegenüberliegenden Wand befindet sich ein Schrank, auf dessen Einlegeböden Bücher stehen. Ich sehe genauer hin und entdecke den Band, in dem Mr. Blacklock am Abend meiner Ankunft gelesen hat. Vielleicht bin ich schon zu lange hier, aber ich bleibe trotzdem noch, um die Buchrücken zu berühren und zu betrachten.
Ich entziffere die Titel: »Pirotechnia«, »Metallkunde«, »De Re Metallica«, »The Book of Fires«. Ich buchstabiere die seltsamen und schönen Worte, und dann halte ich den Atem an
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