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Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Farben des Feuers: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Borodale
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Ich bahne mir einen Weg durch die Menge an der Brücke vorbei zu einer Lücke zwischen den Häusern und den abgerissenen Gebäuden. Dort bleibe ich stehen, das Durcheinander des Verkehrs im Rücken, und betrachte den großen dahinströmenden Fluss, bis ich ganz benommen bin. Ich sollte an meine Arbeit zurückkehren, denke ich reumütig, solange ich noch eine Arbeit habe. Auf dem Wasser haben sich Schiffe versammelt. Sie warten auf die Flutglocke, die anzeigt, dass genügend Tiefgang herrscht, um unter der Brücke hindurchzufahren.
    »Tu’s nicht!«, ruft mir ein alter Mann mit einem breiten Hut im Näherkommen scherzhaft zu. Er bleibt stehen und stützt die Ellbogen auf das Geländer neben mir auf. Vermutlich meint er, ich solle nicht springen.
    »Erst gestern ist wieder eine Selbstmörderin angetrieben worden, an der Waage bei der Scott’s Werft«, erklärt er, als ich nicht antworte. »Eine bedauernswerte Frau. Sie haben gesagt, nach der Kleidung zu schließen, die sie anhatte, oder nach dem, was davon übrig war, kann sie nicht arm gewesen sein. Es passiert oft genug, weiß Gott.«
    »Ich habe gehofft, Fische zu sehen, Sir«, sage ich. Es ist das Erste, was mir einfällt, und außerdem wäre es schön, einen Aal oder einen Schwarm Scherenschwänze gegen die Flut den Fluss hinunterschwimmen zu sehen. Wir befinden uns hoch über dem Wasser. Am Ufer der Themse beobachten wir eine Handvoll Kinder, die Brennmaterial sammeln und die feuchten Holz- und Kohlenstücke in einen Korb legen, den das größte Kind auf dem Rücken trägt.
    Der Mann ist elegant gekleidet; er trägt eine Perücke und eine Weste. Er erzählt mir, dass er sich vor dem Essen ein bisschen Bewegung verschafft. »Obwohl es wirklich ein eisiger Tag ist.« Seine zitternde Stimme hat einen angenehmen Klang. »Ich werte das als Zeichen dafür, dass der Winter in diesem Jahr noch strenger wird.« Ich denke daran, dass der Vogelbeerstrauch zu Hause vor dem Cottage vor Früchten rot wie ein Signalfeuer war, als ich weggegangen bin. Der Mann zeigt mir die St. Magnus Church, Cocks Key und Lyons Key, das Zollhaus, den Tower und weist mich auf verschiedene Bootstypen hin, auf die Kohlenschiffe und die Leichterschiffe, ein Kriegsschiff …
    »Die Waren, die an diesem Ufer ausgeladen werden, kommen aus der ganzen Welt«, erklärt er und zeigt mit seinem polierten Gehstock hinunter. »Olivenöl, Seidenstoffe, Tabak, Baumwolle, Wein.«
    »Ich wäre gerne auf einem Schiff, das Richtung Meer fährt und immer kleiner wird, bis es um eine Flussbiegung verschwindet«, sage ich. Der Mann lächelt und schüttelt den Kopf.
    »Das Leben auf See ist hart«, erwidert er. Der Mann hält mich vermutlich für ein gewöhnliches Ladenmädchen, das an seinem freien halben Tag ein bisschen an der frischen Luft spazieren geht. Er weiß nicht, dass mich das schändliche und wachsende Ergebnis eines Fehltritts belastet, das demnächst jedem auffallen wird, der mich ansieht. In gewisser Weise habe ich sein Vertrauen missbraucht – sein Glaube an meine Ehrbarkeit ist unangebracht.
    »Guten Tag, junge Dame«, sagt er, als eine Gesprächspause eintritt, zieht höflich den Hut und geht durch die Menge in Richtung der Fish Hill Street davon. Die Glocke im Kirchturm schlägt drei Uhr.
    Etwas an dieser Begegnung berührt mich. Die kurze, zufällige Höflichkeit, die Weite der Welt, die dort zusammentrifft, ein angenehmer Kontakt unter Fremden.
    Ich denke darüber nach, wie hart der Winter wohl wird, der vor uns liegt. Und ich erinnere mich, dass letztes Jahr Mitte Dezember Scharen von Wintervögeln ins Tal herunterkamen und die Beeren von den Hecken fraßen. Plumpe Rotdrosseln und graue, unbeholfene Wacholderdrosseln ließen sich auf dem Vogelbeerstrauch vor dem Cottage nieder, der unter ihrem Gewicht heftig ins Schwanken geriet. Schnell fraßen sie die fauligen, orangefarbenen Beeren, reckten die Hälse und schlugen mit den Flügeln, um das Gleichgewicht zu halten. Es wimmelte von lärmenden Vögeln. Sie waren unvorsichtig und wurden von dem Sperber überrascht, der aus dem Nichts herunterstieß und sich mitten in der Luft einen Vogel schnappte.
    Der Rest der Vögel erhob sich und flog davon. Der Vogelbeerstrauch war beinahe kahl gefressen. Er bewegte sich ein wenig in dem Luftzug ihres Auffliegens und rührte sich dann nicht mehr. Es war eine ruhige Szene vor dem Fenster, nur der Weg und die Felder waren zu sehen. Außer einer weichen Feder, die über dem matschigen Weg schwebte, deutete

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