Die Farm am Eukalyptushain
Porträtierten immer noch hervor.
»Meine Eltern.« Catriona war mit Rosa im Schlepptau hereingekommen. »Die Bilder wurden kurz nach ihrer Ankunft hier in Australien gemalt. Damals hatten sie noch Geld für solche Sachen.« Offenbar sah sie, dass Harriets Blick zwischen den Porträts hin und her wanderte. Lächelnd kam sie zu ihr. »Das bin ich.« Sie deutete auf das mittlere Bild. »Habe damals nicht übel ausgesehen, oder?« Sie lachte, und ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sie sich ab und setzte sich.
»Das Alter relativiert so manches«, sagte sie leichthin. »Dasverdammte Ding da oben erinnert mich an jedes Jahr, das vergangen ist, an Alter und Verfall.« Sie lächelte. »Aber die Alternative ist viel schlimmer; also muss ich mich wohl damit abfinden.«
Harriet, erzogen von einer Mutter, die am leisesten Hinweis auf das Altern Anstoß nahm und die jeden Geburtstag mit Abscheu und Verachtung beging – Harriet schwieg. Catriona war wirklich eine Schönheit gewesen, aber diese Schönheit strahlte noch immer in der makellosen Haut, in den veilchenblauen Augen und der stolzen Haltung. Es war eine Schönheit, die von innen kam.
Rosa schenkte den Tee ein, und die anderen erschienen ebenfalls. Die Unterhaltung war lebhaft. Harriet war zufrieden damit, einfach zuzuhören. Aber von draußen hörte sie verlockende Geräusche – Kälber schrien, Pferde wieherten, Hunde bellten –, und dazwischen mischte sich das Klirren von Pferdegeschirr und das Lachen und Plaudern der Männer. Das alles ist ganz anders als die Welt, in der ich lebe, dachte sie, als sie an ihrem Tee mit Milch nippte und sich allmählich entspannte.
In den nächsten vier Wochen unterhielt Catriona die beiden Mädchen mit Geschichten aus ihrer Kindheit. Harriet kannte das Geschichtenerzählen bisher nur aus der Schule und freute sich jeden Abend darauf, sich mit Rosa auf das Sofa zu kuscheln und Catrionas Erzählungen von der fahrenden Theatertruppe zu lauschen. Catriona schilderte das alles so lebendig, dass sie oft glaubte, sie höre das Rumpeln der Wagenräder und das Lachen der Tänzerinnen.
Tagsüber, wenn Catriona nicht gerade ein Picknick veranstaltete oder mit ihnen einen Ausflug zu den zahlreichen Partys im Outback unternahm, hatte Harriet Gelegenheit, Belvedere zu Pferd zu erkunden. Rosa hatte ihr bereits alle ihre Lieblingsplätze gezeigt, aber das Schönste hatte sie für den letzten Ferientag aufgehoben.
Die Scheune stand abseits in der hintersten Ecke der Koppel.Sie war baufällig; das Dach war an vielen Stellen geflickt, und die Wände waren schief. Rosa stieg ab und zerrte am Scheunentor. Es knarrte und quietschte protestierend, und am unteren Rand brachen Splitter ab, als es sich in Gras und Unkraut verhakte. Harriet stieg von ihrem Wallach und trat in den dämmrigen Raum. Stäubchen schwebten in den Sonnenstrahlen, die durch das Dach hereinfielen, und noch immer hing der Duft von Heu und Hafer in der Luft. Aber Harriet hatte nur Augen für den einzigen Gegenstand, der vor ihr aufragte und hier ganz fehl am Platze zu sein schien.
»Mums Stolz und ihre ganze Freude«, flüsterte Rosa, als sie darum herumging und liebevoll mit den Fingern daran entlang strich.
Harriet kam näher und berührte die bunte Bemalung. Sie leuchtete rot, grün und gelb im staubigen Sonnenlicht, und die Schrift auf den Seiten war so klar und deutlich, als wäre sie erst gestern angebracht worden. »Es ist der Wagen«, flüsterte sie. »Catrionas Wagen. Aber wie hat sie ihn nach all den Jahren gefunden?«
»Bei einer Farmversteigerung. Der Farmer hatte darin seine Hühner untergebracht. Mum hat ihn herbringen lassen, und sie und Connor haben daran gearbeitet, nachdem sie sich zur Ruhe gesetzt hatte. Schön, nicht?«
Harriet empfand ein überwältigendes Déjà-vu-Gefühl. Nach Catrionas Geschichten war es seltsam, vor diesem Wagen zu stehen, den sie überall erkannt hätte. Es war, als sei sie in eine Vergangenheit zurückgekehrt, die sie nie erlebt hatte und die ihr doch so vertraut war, als wäre es ihre eigene. »Dafür müssen sie Jahre gebraucht haben.« Sie betrachtete das zierliche Gitterwerk am unteren Rand und die sorgfältig bemalten Räder.
Rosa schob die Hände in die Taschen und nickte. »Ich und Belinda, wir haben drin gespielt. Haben getan, als wären wir Zigeuner. Aber ich weiß, wie wertvoll er ist, und wahrscheinlichgibt’s nur noch diesen einen. Die Historical Society hat Mum angefleht, ihn ihr zu schenken, aber er bedeutet ihr so
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