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Die Farm am Eukalyptushain

Die Farm am Eukalyptushain

Titel: Die Farm am Eukalyptushain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamara McKinley
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fast sechzehn Jahren bei der Polizei hatte er genug davon. Die Ränder unter den Augen, die Falten im Gesicht und die ersten grauen Haare in dem braunen, widerspenstigen Schopf, den er nie hatte bändigen können, sagten alles.
    Die Polizei hatte sich verändert seit den Tagen seines Vaters – und noch mehr, seit sein Großvater der Ortspolizist oben in Atherton gewesen war. Mehr Gewalt, mehr Drogen und mehr Korruption, und weniger Zeit, sich um all das zu kümmern. Mehr Papierkram, der das System blockierte, und weniger Polizisten, die den laufenden Betrieb erledigten. Vielleicht wurde es Zeit, den Beruf an den Nagel zu hängen und sich etwas anderes zu suchen? Er hatte die Nase voll von immer neuen Mordfällen, von der dunklen Seite der Menschheit, mit der er es Tag für Tag zu tun hatte. Es hatte ihn seine Ehe gekostet, sein Heim und seine Kinder. Das war ein zu hoher Preis.
    Er wusch den Rasierschaum mit kaltem Wasser ab, trocknete sich ab und kämpfte mit seinen Kontaktlinsen. Er brauchte dieverdammten Dinger, aber er konnte sich immer noch nicht damit abfinden, sich jeden Morgen etwas in die Augen zu drücken. Er blinzelte, wischte die Tränen weg und tappte nackt in sein Schlafzimmer. Der Anzug würde es noch ein paar Tage tun, und das Hemd war eins aus einem ganzen Bündel, das eben aus der Wäscherei gekommen war, jungfräulich rein in einer Plastikhülle. Er band sich eine Krawatte um, zog seine Schuhe an und sammelte das Kleingeld vom Nachttisch ein.
    Ein Foto seines Sohnes stand neben dem Telefon. Es erinnerte ihn daran, dass er seit zwei Wochen nicht mehr mit ihm gesprochen hatte. Hastig gekritzelte Briefe und Karten waren längst nicht so befriedigend wie ein Gespräch von Mann zu Mann – selbst wenn der Junge sich auf das übliche Teenager-Grunzen und einsilbige Antworten auf seine Fragen beschränkte. Er sah auf die Uhr. Die Kinder dürften jetzt in der Schule sein. West-Australien lag in einer anderen Zeitzone. Seufzend steckte er die Brieftasche ein, nahm die verblichene Mappe und verließ die Wohnung. Vielleicht würde er ja heute irgendwann Gelegenheit finden, sie anzurufen.
    Brisbane flimmerte in der frühmorgendlichen Hitze. In den Glastürmen spiegelten sich der Fluss und der Straßenverkehr auf den Hochstraßen und Brücken. Während er schon wieder im Stau vor einer Verkehrsampel wartete, schaltete er den Kassettenspieler ein, und die betörend schöne Arie erfüllte den Wagen. Puccini war sein Lieblingskomponist, und Catriona Summers’ Stimme fing die ganze Tragödie der Madame Butterfly ein.
    In der klimatisierten Kühle des Wagens lehnte er sich zurück und ließ die Prozession von Touristen, Shoppern und Geschäftsleuten, die die Kreuzung überquerten, an sich vorüberziehen. Er lebte gern in der Großstadt und liebte ihre vibrierende Atmosphäre, aber zugleich war er doch allzu vertraut mit dem Bösen, das so dicht unter der Fassade von Modernität und Erfolg lauerte. Manchmal, wie heute Morgen, wünschte er, er wäre es nicht.
    Catrionas Stimme klang an sein Ohr, und er warf einen Blick auf die Mappe auf dem Sitz neben ihm. Sein Vater hatte sie aufbewahrt, und Tom erinnerte sich, wie er auf den Knien seines Großvaters gesessen und der alte Mann ihm von dem Russen, dem Engländer und dem verschwundenen Silber erzählt hatte. Als die Leiche gefunden worden war, hatte sein Vater sich sofort bei ihm gemeldet und ihm bei einem kurzen Wochenendbesuch die Akte überreicht. Mit den modernen Technologien war es Tom schließlich gelungen, den Weg zu verfolgen, den Velda und ihre Tochter genommen hatten. Von Jewtschenkow gab es nichts. Anscheinend hatte er sich einfach in Luft aufgelöst.
    Es war eine schockierende Erkenntnis gewesen, dass eine der größten australischen Operndiven aus so bescheidenen Verhältnissen stammte und dass sie vor all den Jahren in einen Mord verwickelt gewesen sein könnte – auch wenn sie damals noch ein Kind gewesen sein musste. Kinder wussten oft mehr, als Erwachsene ihnen zutrauten; sie sahen und hörten so manches, weil sie in der Welt der Erwachsenen fast unsichtbar waren. Das hatte er in seiner Zeit bei der Polizei immer wieder festgestellt.
    Aber er war nicht so naiv zu glauben, dass die Polizei in einem so alten Mordfall noch viel unternehmen würde. Mit den aktuellen Verbrechen hatten sie genug zu tun, ohne dass sie auch noch in einer Vergangenheit wühlten, die mehr als fünfzig Jahre zurücklag. Der Fall war kalt, und er würde so lange ganz unten im

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