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Die Farm

Die Farm

Titel: Die Farm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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einfach nur unterhielten, ohne etwas zu kaufen oder die Waren zu begutachten.
    Ich bahnte mir einen Weg durch die Menge und hielt Ausschau nach meinem Vater. Die Eisenwarenhandlung war ein uralter Laden, und je tiefer man darin eindrang, umso dunkler und höhlenartiger wurde er. Der Holzboden war nass und hing durch.
    Am Ende des Gangs drehte ich mich um und stand Tally und Trot gegenüber.
    Sie hielt einen Fünf-Liter-Eimer mit weißer Wandfarbe in der Hand, Trot einen Ein-Liter-Eimer. Sie warteten wie alle anderen, dass das Gewitter weiterzog.
    Trot sah mich und versuchte, sich hinter Tally zu verstecken.
    »Hallo, Luke«, sagte sie lächelnd.
    »Hallo«, sagte ich und sah zu dem Farbeimer. Sie stellte ihn neben sich auf den Boden. »Wofür ist die Farbe?«
    »Ach, nur so«, sagte sie und lächelte erneut. Wieder einmal wurde ich daran erinnert, dass Tally das hübscheste Mädchen war, das ich je gesehen hatte, und wenn sie mich anlächelte, leerte sich mein Kopf. Wenn man ein Mädchen einmal nackt gesehen hat, fühlt man sich in gewisser Weise zu ihr hingezogen.
    Trot hatte sich ganz hinter sie geschoben wie ein Kleinkind, das sich hinter seiner Mutter versteckte. Sie und ich sprachen über das Gewitter, und ich berichtete ihr von dem aufregenden Stromausfall während des Films. Sie hörte interessiert zu, und je mehr ich redete, umso mehr wollte ich reden. Ich erzählte ihr von den Gerüchten über steigende Wasserpegel und von dem Messstab, mit dem Pappy und ich den Fluss kontrollierten. Sie erkundigte sich nach Ricky, und lange Zeit sprachen wir über ihn.
    Natürlich vergaß ich die Farbe.
    Die Lichter flackerten, und dann gab es wieder Strom. Es regnete noch immer, und niemand verließ den Laden.

    »Wie geht es dem Latcher-Mädchen?«, fragte sie und sah sich um, ob uns jemand zuhörte. Es war eins unserer großen Geheimnisse.
    Ich wollte gerade etwas sagen, als mir plötzlich klar wurde, dass Tallys Bruder tot war und sie nichts davon wusste. Die Spruills dachten wahrscheinlich, dass Hank mittlerweile zu Hause war, zurück in Eureka Springs, in ihrem hübschen, kleinen gestrichenen Haus. In ein paar Wochen würden sie ihn Wiedersehen, wenn es weiterhin regnete wahrscheinlich früher. Ich sah sie an und versuchte, etwas zu sagen, aber ich konnte nur daran denken, wie entsetzt sie wäre, wenn ich ihr erzählte, was ich dachte.
    Ich betete Tally an trotz ihrer Stimmungsschwankungen, ihrer Geheimnisse und dieser komischen Sache mit Cowboy. Ich konnte nicht anders, und ich wollte ihr auf keinen Fall wehtun.
    Der Gedanke, damit herauszurücken, dass Hank tot war, verursachte mir weiche Knie.
    Ich stotterte und verhaspelte mich und blickte zu Boden. Mir war plötzlich kalt, und ich hatte Angst. »Bis später«, sagte ich, machte kehrt und ging nach vorn zurück.
    Als es aufhörte zu regnen, leerten sich die Geschäfte und die Leute hasteten auf den Gehsteigen zurück zu ihren Wagen.
    Der Himmel war noch immer dunkel, und wir wollten alle nach Hause, bevor es wieder anfing zu schütten.

    A m Sonntag war es grau und bewölkt, und mein Vater hielt nichts davon, auf dem Weg zur Kirche auf der Ladefläche des Pick-ups nass zu werden. Zudem war der Pick-up nicht ganz wasserdicht, und wenn es richtig regnete, tropfte es auf die Frauen in der Fahrerkabine. Wir ließen nur selten einen Gottesdienst aus, aber drohender Regen hielt uns gelegentlich davon ab. Seit Monaten hatten wir keinen Gottesdienst versäumt, und als Gran vorschlug, später zu frühstücken und Radio zu hören, waren wir sofort einverstanden. Die Bellevue-Baptistenkirche war die größte Kirche in Memphis, und der Gottesdienst wurde vom Sender WHBQ übertragen. Pappy mochte den Prediger nicht, weil er in seinen Augen zu liberal war, aber wir hörten ihm trotzdem gern zu. Und der Chor bestand aus hundert Stimmen, ungefähr achtzig mehr als der Chor der Baptistenkirche von Black Oak.
    Lange nach dem Frühstück saßen wir um den Küchentisch, tranken Kaffee (auch ich), lauschten dem Prediger, der vor einer Gemeinde von dreitausend Seelen sprach, und sorgten uns wegen des drastischen Wetterwechsels. Das heißt, die Erwachsenen sorgten sich, ich tat nur so.
    In der Bellevue-Baptistenkirche spielte zum Abschluss ein Orchester, und da erschien mir Memphis tausend Meilen weit weg. Ein Orchester in einer Kirche. Grans ältere Tochter, meine Tante Betty, lebte in Memphis und ging selbst zwar nicht in diese Kirche, aber sie kannte jemanden, der dort den

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