Die Fastnachtsnarren. Humoresken
einzutragen. Und Fräulein Hildebrandt kann nicht mehr sicher sagen, seit wann sie die Zwanzig überschritten hat; die Jahre nehmen ihre Aufmerksamkeit weniger in Anspruch als die Katzen, von denen sie ein ganzes Bataillon besitzt, und der Sekretär, in welchem ihre Gold-und Silberrollen liegen.
Herr Hildebrandt hat wie jeder andre Mensch ein Herz, in welchem Liebe und Haß hart neben einander wohnen; die Liebe gilt ausschließlich seinen Hunden, die sie ihm auch erwiedern und der Haß der ganzen übrigen Welt, von der er nicht das Mindeste sehen oder hören mag. Er hat darum seit langen, langen Jahren sein Häuschen nicht verlassen und nur in den allerdringendsten Fällen Jemand vor sich gelassen. Ein dienstbarer Geist Namens Christian besorgt die laufenden Geschäfte; er seufzt unter der Last, welche der Menschenhaß seines Herrn ihm auferlegt, zankt sich vom Morgen bis zum Abend mit ihm herum und ist schon unzählige Male von ihm fortgelaufen, immer aber wieder zu ihm zurückgekehrt. – Und Fräulein Hildebrandt hat ihre Katzen mit unendlicher Liebe in ihr Herz geschlossen; ebenso groß ist aber auch ihre Abneigung gegen jedes andere Geschöpf, den Menschen natürlich mit eingeschlossen. Sie blickt täglich kaum einmal durch das Fenster, besucht den Garten noch viel seltener und setzt den Fuß nie über das Gitterthor heraus, welches man leider hat anbringen müssen, weil es doch nun einmal Bedürfnisse giebt, welche eine wenn auch noch so schwache Verbindung mit der Außenwelt nöthig machen. Diese Verbindung zu unterhalten ist Sache eines weiblichen Wesens, welches den Namen Christine führt, den ganzen Tag wie eine Rohrsperlingin über die Herrin schimpft und einige hundert Male von derselben fortgelaufen ist, um eben so oft wieder zu ihr zurückzukehren.
Herr Hildebrandt ist der Cousin von Fräulein Hildebrandt, und sie ist also seine Cousine. Sie sind die einzigen Ueberreste einer sonst vollständig ausgestorbenen Verwandtschaft, und der überlebende Theil müßte also eigentlich den andern beerben. Um das nun zu hintertreiben, haben Beide adoptirt, er nämlich einen früheren Zögling des Wiesenthaler Waisenhauses, welcher auf den Vornamen Paul hört, und sie ein Mädchen aus derselben Anstalt, welche Pauline heißt, notabene nicht die Anstalt, sondern das Mädchen.
Herr Hildebrandt hat für seinen Adoptivsohn in so väterlicher Weise gesorgt, daß dieser die Universität besuchen konnte und jetzt bei dem Gerichtsamte Wiesenthal als Referendar angestellt ist. Nach Wiesenburg zu kommen ist ihm jedoch von allem Anfange an streng verboten worden. Und Fräulein Hildebrandt hat Pauline auf das Seminar geschickt, um sie zur Lehrerin ausbilden zu lassen. Die Adoptivtochter bekleidet gegenwärtig eine Stelle an dem Töchterinstitut zu Wiesenthal.
Woher aber so viel Haß bei so viel Aehnlichkeiten?
Sie wohnten Beide in Wiesenthal und hatten einander unendlich lieb. Er war der stattlichste junge Mann und sie das hübscheste Mädchen in der Runde. Wenn er mit seinem Wachtelhündchen sie besuchte, so empfing sie ihn mit tausend Küssen und zog ihn neben sich auf das Sopha. Das Hündchen saß dann, von ihrer weißen Hand gestreichelt, auf ihrem Schooße, und ihre dreifarbige Cyperkatze sprang auf seine Schulter, machte einen Chimborassobuckel und zog ihm den langen Schwanz liebkosend über das Gesicht. Das war eine selige Zeit.
Leider besaßen Beide ganz dasselbe jähe, stachelige Temperament. Es gab zahlreiche Veruneinigungen, denen ebenso viele Versöhnungsscenen folgten. Bei diesem Auf-und Niederwogen ihres Glückes konnten Hund und Katze als genaue Thermometer gelten, denn die Stimmung der Besitzer pflanzte sich mit außerordentlicher Regelmäßigkeit auch auf die liebenswürdigen Geschöpfe über. Schnurrte die Katze und wedelte der Hund, so waren wenigstens fünfzehn Grad plus, knurrte der Hund und pfauchte die Katze, so ging man nicht fehl, zehn Grad minus Cupido’scher Skala zu vermerken. Es gab nicht etwa große Sünden gegen Liebe und Treue, sondern jene kleinen, häßlichen Alltägeleien, welche das Gemüth verbittern, wie ein schleichendes Gift die Zufriedenheit zerfressen und langsam aber desto sicherer zum unvermeidlichen Bruche führen. August fühlte, daß er sie nicht mehr leiden könne, und Auguste begann zu vermuthen, daß er ihrer nicht werth sei. Sie theilten sich dies zankend mit, wälzten mit Empörung die Schuld von einer Achsel auf die andre, der Hund zeigte die Zähne, die Katze zischte
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