Die Fastnachtsnarren. Humoresken
bleibt der Omnibus unter uns?«
»Das versteht sich! Was ich einmal sage, das gilt.«
»Nun gut, da nehmt Euch meinetwegen; ich will Nichts mehr dagegen haben. Aber Ihm muß ich vorher erst Eins sagen. Wenn ich nehmlich jetzt auch anfange, Gedichter zu singen, so darf Er nicht denken, daß es auf Seinen Aerger abgesehen sei. Ich habe auf einmal so eine schrecklich poetische Ader bekommen, daß ich den ganzen Tag in Reimen reden könnte.«
»Das kann mich nur freuen, denn dann wird Er mir bei der Hochzeit auf die Toaste, welche ich bringe, auch gehörig antworten können. Für heut aber hängen wir den Nachtwächter an den Nagel; er hat das neue Jahr so schon schlecht genug angefangen. Setze Er sich her, Herr College; es wird sich auch für uns noch eine Tasse finden lassen!«
»Schön! Oder vielleicht gar ein Gläschen Alten mit etwas Rum dazwischen!«
Der blinde Musikant
(Mit Stahlstisch.)
Gelehnt an den Baum, in zitternder Hand
Die Flöte – so ist er Jedem bekannt.
Erblindet kam vor undenklicher Zeit
Er eingewandert im Bettlerkleid.
Und ob es im Städtchen kein Einziger weiß,
Woher er gekommen, man duldet den Greis.
Gern horcht man der Flöte gewohntem Ton,
Und spendet ihm gern den bescheidenen Lohn.
So hielten es Kind schon und Kindeskind
Fast sechzig Jahr, die verflossen sind.
Die beiden Nachtwächter
Original-Humoreske von Karl May
1.
Wer da etwa glaubt, daß blos der Adelige seine Ahnen zählt und mit Stolz von den Verdiensten seiner Vorfahren spricht, der befindet sich in einem gar gewaltigen Irrthume, denn die Pietät, welche so gern nach rückwärts blickt auf die Reihe der Urältern, um ihrem Beispiele nachzuahmen, ist einem jeden Menschen eigen, nur bei dem Einen mehr oder weniger ausgeprägt als bei dem Andern und vom Kaiser bis herab zum Nachtwächter durch alle Abstufungen der Gesellschaft zu bemerken.
Bis herab zum Nachtwächter?
Jawohl! Und wer das etwa nicht glaubt, der mag nur nach Ammerstadt oder nach Wummershausen gehen, um von der Wahrheit der obigen Behauptung vollständig überzeugt zu werden.
Beide Städte liegen etwas über zwei Stunden weit von einander entfernt, und die Verbindung zwischen ihnen wird durch einen Stellwagen erleichtert, welcher täglich zwei Mal hin und zurück geht. Die Straße, welche er dabei zu benutzen hat, ist zu beiden Seiten mit hohen Pappelbäumen eingefaßt, geht immer in schnurgerader Richtung fort und würde auch nicht die mindeste Abwechslung bieten, wenn sich nicht grad auf der Hälfte des Weges ein Wirthshaus präsentirte, auf dessen Schilde in vielfach verwitterten Lettern die Inschrift »Gasthof zur goldenen Ente« zu lesen ist.
In Ammerstadt, ganz draußen im letzten Hause, wohnt der ehrsame Schuhmachermeister Hillmann, welcher von den Vätern der Stadt mit dem wichtigen Amte betraut worden ist, über das nächtliche Wohl seiner lieben Mitbürger zu wachen, und in Wummershausen, ganz draußen im letzten Hause, wohnt der ehrsame Schneidermeister Bachmann, welcher von Abends zehn bis früh vier Uhr zu sorgen hat, daß Nichts geschehe, was dem Glücke der ihm anvertrauten Menschenkinder Gefahr bringen könnte.
Hill mann und Bach mann, das ist nicht etwa nur so von ungefähr, sondern die beiden Nachtwächter sind auch wirklich Männer, die Etwas zu bedeuten haben, und es ist wahrhaftig kein Spaß, für die Sicherheit einer ganzen Stadt die Verantwortung zu tragen. Und diese Verantwortung ist nicht etwa erst neueren Datums, sondern sie hat auf den Familien gelegen schon seit Menschengedenken, da die Hillmanns in Ammerstadt und die Bachmanns in Wummershausen das Nachtwächteramt bekleidet haben, so lange überhaupt von einem Hillmann oder Bachmann die Rede gewesen ist. Ist es daher ein Wunder, daß sie stolz sind auf die Wohlthaten, welche von ihren Familien ausgegangen sind, und daß sie ihren Dienstspieß als eine Reliquie betrachten, welcher mehr Ehre gebührt als selbst dem berühmten Backzahne des heiligen Laurentius? –
Heut ist der zweite Weihnachtsfeiertag. Draußen schneit es, was nur immer vom Himmel herunter will, drin in der Stube aber knistert und pufft es in dem alten Kachelofen, hinter welchen auf dem Großvaterstuhle ein Mann sitzt, den wir uns etwas näher betrachten müssen. Lang und dürr, ja, fast übermäßig lang und dürr ist die hagere, ausgetrocknete Gestalt; lang und dürr sind die beiden Beine, welche in einem Paar Lederhosen stecken, die früher einmal schwarz gewesen sind, jetzt aber
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