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Die Feen - Hallmann, M: Feen

Die Feen - Hallmann, M: Feen

Titel: Die Feen - Hallmann, M: Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Hallmann
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Leslies Schwester oder auch nicht.
    Dort stand eine Gestalt. Sie war so still und vom schwachen Licht des blass gewordenen Mondes übergossen, dass sie seine Gedanken, allein auf der Welt zu sein, nicht weiter störte, ebenso wenig wie der Wolfshund, der neben ihr stehen blieb. Kurz überlegte er sogar, einfach an ihr vorbeizulaufen, sie still und mondlichtübergossen dort stehen zu lassen, aber dann verlangsamte er zum Schritttempo und hielt schließlich direkt vor ihr an. In der Dämmerung sahen ihre Haare noch dünner und flusiger aus als am Tag, die Ohren noch größer. Dem Gesicht jedoch schmeichelte das Mondlicht. Die Augen waren groß und dunkel, und ihm fiel auf, dass über den unterschiedlich großen Nasenlöchern ein perfekter Nasenrücken lag, schmal und gerade und so fein gezeichnet, als hätte sich ein Künstler lange daran abgemüht, bis er endlich zufrieden war.
    »Du bist ja nicht mehr bei Trost«, sagte sie. »Vor ein paar Tagen fast vom Kelpie gefressen worden, und jetzt schon wieder allein unterwegs, mitten im Dunkeln. Du willst es wohl nicht anders, oder? Bist du lebensmüde?«
    Er erwiderte ihren Blick. Eine Gänsehaut lief ihm über den Rücken. »Ich weiß nicht.«
    Prüfend neigte sie den Kopf und musterte ihn von oben bis unten. »Bist du verrückt?«
    »Möglich.« Er sagte es ganz ernsthaft, denn immerhin zog er es in Erwägung. Und ihre Frage hatte sehr ernsthaft geklungen, nicht rhetorisch.
    Die Antwort schien ihr zu gefallen. »Was ist dir passiert?«, wollte sie wissen. »Du hast jemanden verloren, der dir etwas bedeutet hat, richtig?«
    Er träumte, wurde ihm klar, und Erleichterung durchflutete ihn. Deshalb der Ausflug in der Dämmerung und der seltsame Hund, der ihm vorauslief, deshalb auch das Fremdheitsgefühl. Er träumte.
    »Meine Mutter«, sagte er.
    »Sie ist gestorben?« Sie neigte den Kopf. In seinem Traum war sie hübscher als in Wirklichkeit.
    »Ja.«
    »Woran?«
    »Krebs«, erwiderte er tonlos.
    »Ach so.«
    »Was soll das heißen – ach so?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Sehr verbreitet. Die meisten Menschen sterben an Krebs, nicht wahr? Früher oder später.«
    »Bei ihr war es früher«, befand er bissig. »Sie war gerade mal zweiundvierzig.«
    »Hat es lange gedauert?«
    Sie fragte es so neutral, als wollte sie wissen, wie weit sein früherer Schulweg gewesen oder was sein Lieblingsessen war. Kurz zweifelte er daran, dass es wirklich ein Traum war, denn seine Eingeweide zogen sich vor Schmerz zusammen. »Nein. Es hat nicht lange gedauert. Sie hatte eine Weile Schmerzen, hat sie nicht ernst genommen, dann hatte sie einen Anfall, ist ins Krankenhaus gekommen, und da haben sie es festgestellt. Keine zwei Monate später war sie tot.«
    »Haben sie noch operiert?«
    »Nein. Es war ein Hirntumor. Sie konnten ihn nicht operieren. Sie haben sie bestrahlt, und sie hat Medikamente genommen. Sie hat den ganzen Tag gekotzt, ist so dünn und schwach geworden, dass sie kein Wasserglas mehr halten konnte, und hat sich so verändert, dass ich nicht mehr wusste, wer sie ist. Die Ärzte sagten, das sei wegen des Tumors, weil er aufs Gehirn drückt. Und dann hatte sie einen Anfall, als ich in der Schule war, und ist auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben.«
    »Und seitdem bist du wütend auf die Welt.« Es klang nicht spöttisch, sondern fast ein wenig gelangweilt.
    »Leck mich am Arsch.«
    »Komm mit.« Sie drehte sich um und ging los, und er schloss mit ein paar schnellen Schritten zu ihr auf.
    »Erklärst du mir, weshalb ich hier vor ein paar Tagen deine Schwester getroffen habe und sie wollte, dass ich mitkomme, und warum Felix sie mit Steinen beworfen hat? Und warum zum Teufel sie sich aufgelöst hat und das Vieh da«, er zeigte auf den Wolfshund, der neben ihr hertrottete, »einfach aus dem Nichts aufgetaucht ist?« Inzwischen war er sicher zu träumen. Es war ihm egal, er brannte auf Antworten, auch wenn er sie selbst erfinden musste.
    »Das sind viele Fragen auf einmal. Meine Schwester hast du getroffen, nehme ich an, weil du Alasdair eine reingehauen hast, das hat ihr nicht gefallen. Deshalb wollte sie, dass du mit ins Moor kommst – ich glaube nicht, dass man dich lebend wiedergesehen hätte. Jedenfalls sicher nicht bei Verstand. Und Felix hat sie mit Steinen beworfen, weil er der Meinung war, dir damit das Leben zu retten.«
    »Und – hat er das?«
    »Na ja – du lebst noch, oder?«
    Obwohl es sich anfühlte, als platze er schier vor unbeantworteten Fragen, dauerte es

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