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Die Feen - Hallmann, M: Feen

Die Feen - Hallmann, M: Feen

Titel: Die Feen - Hallmann, M: Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Hallmann
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ich Zuneigung verspüre. Ich verabscheue es, wenn es Ihnen nicht gutgeht. Ich freue mich, wenn Sie fröhlich sind. Angst, Miss Leslie, steht Ihnen nicht gut.«
    Sie schluckte und richtete sich auf. »Sie wissen also sehr genau, weshalb ich hier bin, Mister Kerrigan.«
    »Ja, Miss Leslie. Ich bilde mir ein, ich weiß es genau.«
    »Und weshalb lassen Sie mich dann erst so viel erzählen?«
    »Weil ich hören wollte, mit welcher Geschichte Sie mir kommen. Mit welchem Vorwand. Mit welchem Märchen. Oh, schauen Sie doch nicht so. Es ist eine gute Geschichte. Ich bin, muss ich gestehen, ein wenig stolz auf Sie. Die Mutter, die Tochter, die Heilkraft der Liebe – eine sehr menschliche und sehr rührende Geschichte. Sie gefällt mir ausnehmend gut, und Sie haben sie mit Überzeugungskraft vorgetragen.«
    Leslies Knochen schmerzten. Das Herz arbeitete schwer, um das stockende Blut durch die Adern zu treiben. Sie fühlte sich wie festgewachsen, auf dem Fleck festgebannt vom bohrenden Blick des Kobolds.
    »Sie möchten dorthin, wohin Sie zu gehören glauben«, stellte er sachlich fest. »Fort aus der Menschenwelt und nach … wie nennen Sie es? Nach drüben . Als Tauschpfand. Für die Freiheit Ihrer Schwester, die Sie gefangen glauben.«
    »Ist sie es nicht, Mister Kerrigan?«, fragte Leslie leise. »Niemand hat sie gefragt, ob sie es möchte – ihrer Mutter entrissen werden und in der Feenwelt leben.«
    »Viele träumen davon«, wandte er ernst ein.
    »Und für die meisten ist es gut, dass es ein Traum bleibt«, sagte sie fest. »Ein menschlicher Verstand verträgt es nicht.«
    Langsam nickte er. »Ein Standpunkt, den ich lange geteilt habe. Dann glaubte ich, wenn man es nur richtig anstellt, dann könne man ein Menschenkind leicht glücklich machen. Sie sind mit so wenig zufrieden, dachte ich, ein wenig buntes Geflatter hier, ein bisschen Tand, Spiel und Muße und kein Schmerz, keine Angst, keine Krankheit. Wenn man von ihnen fernhält, was an unserer Welt weniger schön ist, so dachte ich, wenn man sie beschützt vor den dunkleren Geschöpfen, dann ist es ein leichtes, ein schönes Dasein.«
    »Und Sie haben Ihre Meinung geändert.«
    »Ich müsste blind sein, um es nicht zu tun. Es ist ein schmerzliches Eingeständnis, aber etwas in der menschlichen Seele scheint den Schmerz zu brauchen. Die Dunkelheit. Dinge, die weniger schön sind. Die Sterblichkeit lässt sich nicht aus der menschlichen Seele verbannen, weil sie in ihr selbst liegt. Sie wächst dort und breitet sich aus. Spüren Sie die Sterblichkeit, Miss Leslie?«
    Um nicht gleich antworten zu müssen, nippte sie an ihrem Tee. »Ja«, gestand sie dann ein. »Sie ist in meinen Knochen, meinem Blut, meinen Eingeweiden. Ja, ich spüre sie, Mister Kerrigan.«
    »Haben Sie Sehnsucht danach? Nach dem Tod?«
    Heftig schüttelte sie den Kopf. »Es ist eher wie eine Krankheit.«
    »Ja. Ja, das mag sein.« Er seufzte. »Wie stellen Sie es sich vor – Sie und Ihre Schwester, wie sollen Sie die Plätze tauschen?«
    Unsicher zuckte Leslie mit den Schultern. »Wir – wir tauschen einfach. Ich gehe nach drüben. Sie geht nach Hause.«
    »Eine Schwester für die andere«, sagte er leise.
    »Ist es nicht möglich?«, fragte sie. Ihre Stimme war kaum hörbar. Vielleicht, weil sie die Frage nicht stellen wollte, aus Angst vor der Antwort. Und die Antwort, die sie nicht hören wollte, kam: »Nein.«
    »Und weshalb nicht?«, begehrte sie auf. »Weil Sie sie nicht hergeben wollen? Weil Sie unbedingt ein Menschenkind wollen, ganz gleich, wie es ihm drüben geht?«
    »Miss Leslie«, sagte der Kobold und lächelte nachsichtig. »Ich muss mich doch sehr wundern. Sie sind doch mit all den Geschichten aufgewachsen, mit all dem Wissen um die Gesetze und Regeln, nach denen das Zusammenspiel zweier so unterschiedlicher Welten funktioniert. Sie müssen doch wenigstens einmal darüber nachgedacht haben, was geschieht, wenn Ihre Schwester unsere Welt verlässt – nach all der Zeit.«
    »Wovon sprechen Sie?«, fragte Leslie erstaunt. »Es sind genau achtzehn Jahre.«
    »Zeit.« Das Gesicht des Leprechauns verzog sich abfällig. »Ihre Schwester, Miss Leslie, ist kaum gealtert. Sie lebt im Körper eines drei- oder vierjährigen Kindes. Das ist ein Zeichen ihrer Sterblichkeit – sie hätte gar nicht altern dürfen. Und doch hat sie es getan. Recht langsam für Ihre Maßstäbe, aber sie ist gewachsen. Sie ist älter geworden, so unmöglich es zu sein scheint. Durch die Verbindung zu Ihrem Vater und

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