Die fernen Tage der Liebe
wusste.
»Ich stelle fest, dass du erst mit den Bedingungen kommst,
nachdem
ich dir meine Kreditkartennummer gegeben habe«, hatte Onkel Mike gesagt. Dann hatte er gelacht. »Mein Vater ist offensichtlich
in guten Händen gewesen. Danke, April.«
Diese Worte, besonders die letzten zwei, und auch, dass er sie beim Namen genannt hatte, dass ihm sogar das wichtig gewesen
war – all das war bei April im Zug noch lange haften geblieben. Und ganz gleich, was für ein Mensch dieser Onkel Mike sein
mochte, sie kannte ihn ja noch gar nicht richtig, aber für April war er jetzt schon ein prima Typ, und das würde auch so bleiben.
Und plötzlich waren sie da. Noch ein bisschen weit weg zwar, aber trotzdem erkannte April den Gang ihrer Mutter und dann auch
die Art, wie ihr Haar immer so steif über den Schultern wippte. Beinahe wäre sie auf der Stelle losgerannt, doch dann fiel
ihr der Plan wieder ein. Sie erkannte den lockeren Gang ihres Onkels Nick. An ihren Onkel Mike hatte sie kaum irgendwelche
Erinnerungen, aber irgendwie überraschte es sie, dass er größer war als Onkel Nick und auch stämmiger. Nicht dick, nur eben
nicht so schmal wie Onkel Nick. April hielt den Atem an. Sie musste sich an der Kioskwand festhalten, damit sie nicht sofort
losrannte.
Stattdessen rannte jetzt ihre Mutter los. Zuerst dachte April, ihre Mutter käme auf sie zu, aber die hatte auf der Bank ihren
Großvater entdeckt. April beobachtete, wie ihre Mutter auf ihn zu rannte, sich hinabbeugte und ihn umarmte. Doch noch während
sie das tat, blickte sie sich schon um. Schließlich ließ sie ihn los, hockte sich vor ihn hin und sah ihm in die Augen. April
wusste genau, was jetzt passierte. Sie konnte ihre Mutter beinahe hören: »Wo ist April? Wo ist April?«
Plötzlich drehte ihre Mutter sich um und wandte sich Onkel Mike zu. April nahm an, dass dies der Moment war, wo Onkel Mike,
nachdem sie jetzt alle drei zu ihrem Großvater gekommen waren, sein Versprechen einlöste und ihr sagte, dass April ganz in
der Nähe war. April wollte nicht, dass ihre Mom noch vollkommen durchdrehte. Aber sich sofort zeigen wollte sie auch nicht.
Sie wollte, dass ihr Großvater ein bisschen Zeit mit seinen drei Kindern hatte. Wo ihm das doch so am Herzen lag.
Nick hatte sich inzwischen neben seinen Vater gesetzt und redete mit ihm. Oder er versuchte es wenigstens. Ihr Großvater sah
Nick an, und obwohl April zu weit weg war, um alles genau zu erkennen, war sie sich dennoch sicher, dass er diesen stummverzweifelten Ausdruck aufgesetzt hatte, so als versuche er, sich zu erinnern, wo er seine Schlüssel oder seine Brille hingelegt
hatte. Jetzt wandte er den Kopf. Er sah von Nick weg und in Richtung der anderen beiden. Erkannte er sie? April kämpfte ihre
Tränen nieder und widerstand dem Verlangen, ihrem Großvater zu helfen, indem sie ihm ihre Namen zuschrie.
Sie sind alle da, Grandpa, Mike, Marcy und Nick. Alle drei sind gekommen.
Aber ihre Rufe würden ihn nur verwirren. Man konnte nur hoffen, dass ihr Großvater es mitbekam, und sei es für eine Sekunde.
Ihre Mutter brachte natürlich wieder den ganzen Plan durcheinander. April war sich beinahe sicher, dass sie über die brechenden
Wellen und das Gekreische der Kinder hinweg Wortfetzen von ihr hören konnte. Sie stand jetzt vor Mike und hatte die Hände
in die Hüften gestemmt. April grinste. Diese Haltung ihrer Mutter kannte sie nur zu gut: Jeden Moment würde sie zulangen.
Also machte sich April auf den Weg zu ihnen hinunter. Sie beeilte sich. Sie wusste ja, wenn sie sich nicht innerhalb der nächsten
Sekunden zu erkennen gab, würde ihre Mutter Mike windelweich prügeln.
33
Jeder braucht schon mal seine Ruhe. Deshalb hatte Bill nach einem seltenen und ungewöhnlich lauten Streit mit Clare beschlossen,
dass er sich erst mal eine Weile nach hinten setzte. Es konnte ja auch mal ein anderer die Fahrerei übernehmen.
Sie waren stundenlang am Strand gewesen. Er spürte noch den Sand in seinen Schuhen. Sand zwischen den Zehen hatte er immer
toll gefunden, aber nicht, wenn man Schuhe anhatte und Socken. Was hatten sie eigentlich in voller Montur am Strand gewollt?
Warum waren sie nicht im Wasser gewesen? Mike und Nick hätten sich an ihn gehangen und versucht, den Alten unterzutauchen,
und dabei vor Begeisterung oder Enttäuschung aufgejault, wenn sie es doch nicht schafften. Oder er hätte Marcy hoch in die
Luft geworfen. Ihr ängstliches Schreien und Kichern.
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