Die fernen Tage der Liebe
Bett daliegen sah, reglos und kaum atmend, oder auf dem Küchenfußboden
oder oben im Flur, wo auch immer sie sich geradebefand, wenn die Schmerzen einsetzten. Er hätte sie so gern hochgehoben und ihren Kopf gewiegt oder sich einfach nur neben
sie gelegt und ihre Hand gehalten, wie sie es abends oft beim Einschlafen machten. Aber Marilyn flehte Nick an, einfach nur
das Licht auszusperren. Alles Licht! Er tat sein Bestes und schlich so leise wie möglich um sie herum. Und stets hatte er
dann das Gefühl, dass dies nur ein unliebsamer Vorgeschmack auf das war, was ihnen noch bevorstand: Marilyn mit geschlossenen
Augen auf dem Rücken und Nick, der hilflos und hoffnungslos auf sie hinabblickte. Und dann bat sie Nick zu gehen.
Bones Markham konnte er sich für heute Abend wohl abschminken.
Er drückte auf den Knopf. »Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte er.
»Es ist noch nicht so schlimm, aber ich weiß aus Erfahrung, dass es bald schlimmer wird.« Ihre Stimme klang zwar blechern,
aber kräftig. »Es tut mir so leid, Nick – ich fürchte, ich kann heute Abend nicht ausgehen.«
»Mach dir doch darüber keine Gedanken. Erhol dich nur schnell. Marilyn hat auch solche Anfälle gekriegt und sie…«
Er drückte den Knopf. Wann würde er endlich mit diesem dämlichen Fehler aufhören? Wirklich jämmerlich, dass er immer wieder
darauf zu sprechen kam.
Er drückte den Knopf erneut. »Soll ich dir ein Glas Wasser oder so was bringen?«
»Lass nur, Nick. Wirklich, ich weiß inzwischen, dass das einfach seine Zeit braucht. Danke für dein Verständnis. Und es tut
mir leid, aber meinst du, du findest allein hinaus?«
»Natürlich. Gute Besserung. Ich rufe dich an.«
Er wartete auf eine Antwort, aber es kam keine. Wahrscheinlich war sie wieder ins Bett gefallen und wartete nun auf ihre Tortur.Er überlegte, ob er ihr ein Glas Wasser hochbringen sollte, ließ es dann jedoch bleiben. Stattdessen nahm er seinen Schlüsselbund
vom Küchentisch und trug Bobbys Teller mit den Pizzaresten zum Spülbecken. Aus eigener Erfahrung wusste er, dass das Letzte,
was Peggy würde sehen wollen, wenn sie herunterkam, um sich ein Aspirin oder etwas Stärkeres zu holen, ein Stapel schmutziges
Geschirr war. Also suchte er sich ein Geschirrtuch und machte sich an die Arbeit.
Eigentlich war es sogar schön, hier an der Küchenspüle zu stehen, vor einem Fenster, das auf einen sehr gepflegten Garten
hinausging. Das warme Wasser war beruhigend, das Abtrocknen irgendwie eine sinnvolle Aufgabe und das Gefühl, dass noch jemand
im Haus war, unendlich tröstlich. Nick nahm sich Zeit.
Weil der Jazz sich erledigt hatte, musste er sich für heute Abend etwas Neues überlegen. Da war ja noch der Artikel, mit dem
Ginny ihn beauftragt hatte. Aber warum sollte er sich den Abend auch noch komplett verderben und an Ginny Eastland denken?
Dabei war an Ginny Eastland eigentlich nichts auszusetzen. Anfang dreißig, gute Figur und nach den Klamotten zu urteilen,
in denen sie herumlief, wahrscheinlich mit irgendeinem Yuppie-Broker oder Software-Genie verheiratet. Sachen, die sich eigentlich
keiner leisten konnte, der im Verlagswesen auf der Redaktionsseite gelandet war. Sie konnte ja nichts dafür, dass die Branche
sich veränderte. Die Umstrukturierung vom letzten Monat konnte man schließlich nicht ihr vorwerfen. Und vielleicht konnte
man ihr sogar die herablassende Art verzeihen, in der sie ihm die »neue Ausrichtung« der Firma dargelegt und Nick vorgeschlagen
hatte, es doch mal mit »Telearbeit« zu versuchen. Die Botschaft war ziemlich eindeutig gewesen: Telearbeit oder gar keine
Arbeit. »Wir wollen frisches Blut«, hatte Ginny erklärt undihn ermuntert, nebenher auch noch als freier Autor zu schreiben. Nur ein Vollidiot hätte das nicht als unverhohlenen Hinweis
verstehen können, dass man ihn loswerden wollte. Aber immerhin schickte sie ihm immer noch Aufträge, und dafür musste er ihr
dankbar sein. Oder etwa nicht?
Positiv denken, befahl er sich, während er sich die Hände am Geschirrtuch abtrocknete und es anschließend über das Spülbecken
hängte. Als er das Haus verließ, achtete er darauf, die Tür leise zuzuziehen. Bei einer Migräne war schon das kleinste Geräusch
eine Folter.
Im Auto schob er die Bones-Markham-CD ein, die er Peggy eigentlich auf dem Weg zum Konzert hatte vorspielen wollen. Gerade
wollte er an einem Stoppschild am Ende der Straße rechts abbiegen, als ein Auto nach
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