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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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gar unschuldig
war, doch ich hätte ihr sicherlich irgend etwas vorgeworfen und dann beleidigt
geschwiegen, voller Selbstmitleid, weil nicht einmal meine Nächsten Verständnis
für mich hatten. Aber zum Glück zügelte sie ihren Zorn, lachte und vertrieb
augenblicklich meine Mißstimmung. Ihr Lachen war vernünftiger als sie und ich.
    »Komm«, sagte sie, »laß nicht die
Nase hängen. Er hat es von Mahmut gehört, nun will er es auch von dir hören.
Auf diesen Heiducken hat er es abgesehen, nicht auf zwei Müßiggänger, die auf
Berge klettern und Waldbrände beobachten.«
    Dieser spöttische Zuspruch erwärmte
mich, bis ich bei Avdaga eintraf, Avdaga aber jagte mir Kälte ins Herz. Und
nicht so sehr er selbst wie sein Geheimnis.
    Alles um diesen Mann war alltäglich,
das fast leere Zimmer, die weißgekalkten Wände, die Wachsflecke auf dem Boden
von den Kerzen in billigen Leuchtern, die vorhanglosen Fenster, die karge
Einrichtung aus rohem Holz. Auch er selbst war alltäglich, still, höflich, er
sah mich nicht drohend
an, wie ich mir vorgestellt hatte, er erschreckte mich nicht mit harten Worten,
er wirkte sogar unsicher, so mager wie er war, mit unruhigem Gesicht und
zwinkernden Augen, die meist zur Seite oder starr geradeaus blickten. Dennoch
war ich aufgeregt. Ich spürte das Geheimnis, das ihn umgab, mir
unbekannt und verschlossen, aber ständig gegenwärtig. Und nur das war wichtig,
alles andere war nebensächlich und so bedeutungslos wie die Kleidung, die er
trug.
    Er fragte nicht viel nach Bećir
Toska, denn er hatte bereits alles von Mahmut Neretljak erfahren. Er sagte nur,
wir seien noch einmal davongekommen, wir hätten mehr Glück als Verstand gehabt,
denn er hätte argwöhnen können, daß wir ihn ausspionieren sollten. Und wir
hätten auch keinen Streit mit ihm anfangen dürfen, das hätte uns den Kopf
kosten können.
    »Ich habe keinen Streit angefangen.
Ich habe mir nur seine beleidigenden Worte verbeten.«
    »Das spielt jetzt keine Rolle. Danke
Gott, daß du am Leben geblieben bist, und zünde eine dicke Kerze an.«
    Und während ich dachte, daß er mich
sicherlich nicht deshalb hatte rufen lassen, und mir die Erwartung des wahren
Grundes das Blut in den Adern gefrieren ließ, geschah etwas wie in naiven
Kindermärchen oder etwas noch Unglaublicheres, so als würde ein Wolf mit
Nachtigallenstimme zu singen beginnen. Er kam auf das Gedicht zu sprechen, das
ich auf dem Hügel verfaßt hatte.
    Herrgott, was hatte dieser Mahmut
alles ausgeplaudert!
    Er sagte, Mahmut habe sich nicht
alles gemerkt, nur die erste Zeile, alles andere habe er so
durcheinandergebracht, daß er selbst habe lachen müssen. Es sei das seltsamste
Kauderwelsch gewesen. »Die Welt besteht aus unvollkommenen Menschen ...« Und
weiter?
    Das Gedicht sei nicht gut, sagte ich
noch ganz benommen. Es sei roh und unfertig. Ein Vers dürfe nicht klingen wie
gewöhnliche Rede. Vielleicht wäre es so besser: »Unvollkommene Menschen, das
ist die Welt.« Es müsse noch reifen.
    »Gleichgültig«, sagte der Serdar.
»Laß mich hören.«
    Ich wiederholte das Gedicht, obwohl
es mir lächerlich vorkam. Wieso kümmerte er sich um Gedichte?
    Noch seltsamer war, daß er andächtig
zuhörte, mit dankbarer, fast verklärter Miene.
    »Bitte, noch einmal.«
    Er bewegte lautlos die Lippen,
sprach mir die Verse nach.
    »Soll ich es aufschreiben?«
    »Ich kann die Schrift anderer
schlecht lesen. Ich schreibe auch selbst nicht gut.«
    Bald hatte er das Gedicht auswendig
gelernt und sagte es langsam her, ungeschickt, einmal, zweimal, mehrmals, mit
einem Genuß, der mir unbegreiflich war.
    Ich fragte ihn: »Hast du Gedichte so
gern?«
    »Dieses hat mir von der ersten Zeile
an gefallen.«
    Und wieder ließ er die Worte im Mund
zergehen, lauschte ihrem Klang, kostete ihr Aroma, saugte wollüstig den Sinn
aus ihnen wie das Mark aus einem Knochen. Diese ungewöhnliche und unerwartete
Freude an der Poesie hob ihn in meinen Augen, zumal er gerade mein Gedicht
auserwählt hatte. Wenn es ihn so entzücken konnte, war es also gut. Und wenn er
seine Schönheit empfinden konnte, dann gab es Werte in ihm, die er nicht jedem
offenbarte.
    Ich hatte sein Geheimnis vergessen.
    »Und das ist alles, was du tust,
Gedichte schreiben?«
    »Ich kann keine Arbeit finden.«
    »Du hast es selbst so gewollt, nun
beklag dich nicht. Du willst alles mögliche reden. Dann trage auch die Folgen.
Hattest du vielleicht einen Orden erwartet? So ein Narr wirst du nicht sein.«
    »Ich war

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