Die fetten Jahre
ich, ich bin der Einzige auf diesem Planeten, der mit euch kommunizieren kann, ein befreundeter Erdling, verstehst du?«
»Ich verstehe. Sie sind der Judas unter den Erdlingen.«
Chen hatte keine Lust, weiter darauf einzugehen, er sagte nur: »Ich kenne jemanden, mehrere, die möglicherweise Artgenossen von euch sind.«
»Wirklich? Das ist ja wunderbar! Wo sind sie?«
»Ich weiß nicht, wo sie sind. Ich bin selbst auf der Suche nach einer von ihnen.«
»Ich helfe Ihnen! Wir können zusammen nach ihr suchen«, bot Fang Caodi an.
Chen musterte ihn. Er überlegte, ob er ihn einbinden sollte oder ob das alles komplett durcheinanderbringen würde.
Fang sagte: »Ich bin Profi im Aufspüren. Ich habe in den vergangenen zwei Jahren nichts anderes gemacht als nach dem verschollenen Monat gefahndet, nach Menschen, nach Beweisen … Lassen Sie mich Ihnen helfen, Herr Chen, bitte!«
»Fang, lass mich erst mal darüber nachdenken.«
»In Ordnung«, lenkte er ein, dann schwieg er eine Weile. Als sie SDX beinahe erreicht hatten, sagte er: »Die Buchläden heutzutage braucht man sich gar nicht mehr anzusehen. Im ganzen Land ist es dasselbe – sie verkaufen alle nur noch die offizielle, gesäuberte Version. Nach der Wahrheit braucht man dort nicht zu suchen. Wenn Sie mir nicht glauben, können Sie es selbst nachprüfen. Es muss gar nicht der verschollene Monat sein, nehmen Sie den 4. Juni ’89, dazu werden Sie garantiert nichts finden, genau wie zum Kampf gegen Rechtsabweichler und zur Kulturrevolution, da gibt es nicht ein vernünftiges Buch mehr, nur noch Ammenmärchen.«
Chen sagte dazu nichts. Fang Caodi regte ihn langsam wirklich auf. Selbst zum Besuch im Buchladen wollte Fang ihm was erzählen? Was hatte der denn schon gelesen? Allein mit den Memoiren prominenter Zeitgenossen ließen sich ganze Regale füllen. Früher war Chen jede Woche hier gewesen, die letzten zwei Jahre immerhin noch im Abstand von ein paar Monaten; was Bücher anging, ließ er sich von Fang nichts vormachen! Da war er der Profi! Fang Caodi hatte sich nicht verändert, er war schon immer eine Nervensäge gewesen.
Sie hielten vor dem Taofen-Center, in dem sich der SDX-Buchladen befand, und Chen stieg aus dem Wagen. Fang Caodi nahm sein Mobiltelefon und wählte eine Nummer, kurz darauf begann Chens Handy zu klingeln. »Jetzt haben Sie meine Nummer. Sie können mich jederzeit anrufen, wenn Sie mich brauchen«, sagte er. Er werde auf Chens Anruf warten, rief er, und dann, kurz bevor er davonfuhr: »Ich wette mit Ihnen, Herr Chen, dass sie selbst Yang Fengs Bücher nicht mehr führen!«
Damit brauste Fang Caodi davon. Chen dachte nach: Die verbotenen Bücher aus Hongkong und Taiwan konnte man vernachlässigen, ebenso die selbst gedruckten, illegalen Schriften vom Festland; von den offiziell und legal in China veröffentlichten Werken waren Xiaozhus Vorboten der Geschichte, Zhang Yihes Vergangenes vergeht nicht wie Rauch oder der von Xu Xiao, Ding Dong und Xu Youyu herausgegebene Band Yu Luoke – Posthumes Werk und Memoiren schon vor langer Zeit auf dem Index gelandet und somit sicher nicht mehr erhältlich; Yang Xianhuis Die Rechtsabweichler von Jiabiangou, oder Wu Sis Versteckte Regeln mochte es durchaus noch geben, vielleicht aber auch nicht; doch Gehirnwäsche – Sechs Berichte über Kaderschulen und Auf der Grenze des Lebens von Yang Jiang, das waren langjährige Bestseller, natürlich bekam man die noch! Ihre autobiografische Familiengeschichte Wir drei war sogar bei SDX erschienen, wie sollte es sie da nicht mehr geben? Völlig ausgeschlossen.
***
Im Laden ließ Chen gleich eine der Angestellten per Computer nach Yang Jiangs Büchern suchen. Das Fräulein teilte ihm mit, es gebe dazu keinen Eintrag.
Sie war eben noch jung und kannte sich nicht aus, sagte sich Chen. »Heißt das, es ist nichts lieferbar?«, fragte er.
»Es gibt keinen Eintrag im Verzeichnis, also führen wir diese Bücher nicht«, antwortete sie.
»Und früher?«, hakte Chen nach.
»Früher gab es das Verzeichnis nicht.«
»Aber Wir drei ist bei SDX erschienen!«
»Das mag sein, laut Computer führen wir es aber nicht.«
»Ist der Geschäftsführer da?«
»Vielleicht finden Sie ihn im Café im ersten Stock.«
Nach kurzer, selbstkritischer Überlegung musste Chen sich eingestehen, dass er in den letzten zwei Jahren keine Aufzeichnungen mehr über die Geschichte der Partei oder der Volksrepublik gelesen hatte; selbst persönliche Erinnerungen an den Kampf gegen
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