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Die fetten Jahre

Die fetten Jahre

Titel: Die fetten Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koonchung Chan
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falle. Hatte Xiaoxi sich etwa danach benannt? Chen hatte an ihr bisher keinerlei Anzeichen von Religiosität bemerkt.
    Er suchte im Internet nach der Kombination dieser Worte, und fand alle möglichen Einträge, angefangen bei Aufsätzen des taiwanischen Harvard-Professors David Wang über Eileen Chang bis hin zu einem autobiographischen Roman von André Gide in chinesischer Übersetzung. Chen klickte sich durch zig Links, fand jedoch keinen Hinweis auf Xiaoxi und gab schließlich entnervt auf. Das Versprechen, Xiaoxi zu retten, das er Madame Song am Morgen gegeben hatte, lastete schwer auf seinen Schultern. Doch so niedergeschlagen er auch sein mochte, das Leben musste weitergehen. Also brach er auf, um bei Starbucks einen Lychee-Oolong-Latte zu trinken.
***
    Womit Chen nicht gerechnet hatte, war, dass Fang Caodi, vormals Fang Lijun, seit zwei Stunden an der Xindong Road auf ihn wartete. Fang Caodi war Chen dort einmal zufällig über den Weg gerannt und hatte seine Visitenkarte bekommen. Die E-Mail, die er Chen geschrieben hatte, war jedoch unbeantwortet geblieben. Heute hatte er beschlossen, an den Ort ihres letzten Aufeinandertreffens zurückzukehren und Chen ein weiteres Mal »zufällig« zu begegnen. So konnte er spontan entscheiden, wie er weiter vorgehen wollte.
    Fang Caodi konnte inzwischen schon anhand der Erscheinung eines Menschen mit großer Sicherheit sagen, ob es sich um einen Artgenossen von ihm und Zhang Dou handelte oder nicht. Beim letzten Mal hatte Chen sorglos und selbstzufrieden gewirkt, also nicht besonders artverwandt. Aber für Fang Caodi war Chen einmal ein kluger Mann gewesen und er revidierte seine Einschätzung anderer Menschen nur sehr selten. Es erfüllte ihn daher mit dem größten Vergnügen als er sah, wie Chen an diesem Tag bedrückt und mit bekümmerter Miene das Happy Village II verließ.
    Fang Caodi nahm seine Baseballmütze ab, sprang auf ihn zu und rief: »Meister Chen, Meister Chen! Ich bin’s, Fang Caodi!«
    Er tätschelte mit der Hand seine Glatze, so, als ob er seinem Gegenüber dadurch eine Gedächtnisstütze geben wolle.
    »Meister Chen, heute sehen sie endlich wieder normal aus!«
    »Ich habe keine Lust, mich mit dir zu unterhalten, Fang«, entgegnete Chen schroff.
    »Da haben sie ganz recht, Meister Chen. Ein Monat ist verschwunden, wie soll man da schon Lust auf irgendwas haben?«
    »Fang, ich habe zu tun. Wir unterhalten uns ein andermal.«
    »Wohin wollen Sie denn, Meister Chen?«, fragte Fang.
    Chen überlegte kurz. »Kaffeetrinken bei Starbucks« kam als Antwort nicht in Betracht – Fang hätte sich ihm sofort als Begleitung aufgedrängt –, also sagte er: »Zum SDX-Buch­laden.«
    Prompt sagte Fang Caodi: »Ich fahre Sie hin, steigen Sie ein!« und öffnete die Beifahrertür seines Jeep Cherokee, der neben ihm parkte.
    Chen versuchte abzuwiegeln: »Nicht nötig, wirklich nicht nötig! Mach dir keine Umstände, ich fahre mit dem Taxi.«
    »Ist kein Umstand, ich habe sonst nichts vor. Bin extra gekommen, um ein wenig mit Ihnen zu plaudern, Meister Chen.«
    Widerwillig stieg Chen ein.
    »Meister Chen …«, hob Fang Caodi an, als sie losgefahren waren, doch Chen fiel ihm genervt ins Wort: »Hör endlich auf, mich ›Meister‹ zu nennen! Der jüngste Tag ist gekommen, wenn die Welt voller Meister ist, das steht schon in der Bibel.«
    »Damit ist nicht zu scherzen«, sagte Fang Caodi ernst. »Dann lasse ich den ›Meister‹ lieber weg und nenne sie nur ›Herr Chen‹.«
    Erschöpft fragte Chen: »Du wolltest doch mit mir reden, also: Schieß los.«
    »Herr Chen, ein Monat ist verschwunden. Was sollen wir tun? Wir müssen ihn wiederfinden!«
    Chen war genervt: »Dann ist er eben verschwunden! Was geht dich das an? Wen kümmert schon ein dämlicher Monat!«
    Doch was Fang Caodi dann sagte, ließ Chen aufhorchen: »Er kann nicht einfach verschwinden, das ist nicht richtig. Haben Sie denn nicht bemerkt, dass sich die Menschen um Sie herum in den letzten zwei Jahren verändert haben, Herr Chen?«
    Xiaoxi und Xiaodong hatten genau dasselbe gesagt.
    »In der Zeit vor und nach diesem einen Monat hat sich das ganze Land gewandelt und auch die Menschen haben sich verändert.«
    Jetzt übertrieb er aber, fand Chen.
    Fang Caodi fuhr fort: »Es gibt jetzt zwei Arten von Chinesen, von denen eine die große Mehrheit darstellt, während die andere nur eine winzige Minderheit ist.«
    »Wie groß ist denn diese Minderheit?«, wollte Chen wissen.
    »Bisher sind mir nur zwei

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