Die fetten Jahre
wenn euch an eurem Leben wirklich etwas liegt, dann lasst ihr mich auf der Stelle gehen!«
»Immer mit der Ruhe«, antwortete Chen. »Wenn wir dich einfach so gehen lassen, tust du zwar jetzt vielleicht so, als wäre alles vergeben und vergessen; aber das kann sich im Handumdrehen ändern und du lässt uns hochnehmen. Selbst wenn wir dich sofort freilassen, haben wir bereits ein Kapitalverbrechen begangen und können nicht auf Gnade hoffen. Uns selbst wenn du dich für uns einsetzen und die Todesstrafe verhindern würdest, kämen wir trotzdem nicht unter lebenslänglich davon. Nein, wir brauchen keine Vergebung und wir verlangen auch nicht, dass du für uns das Recht beugst.«
»Was wollt ihr dann?«
»Dass du begreifst: Entweder wir bleiben alle am Leben, oder wir sterben gemeinsam. Die Entscheidung liegt bei dir. Du erlaubst, dass ich es dir erkläre?«
»Sprich!«
»Stell dir Folgendes vor: Die Kameras und Rekorder hier sind eingeschaltet und allesamt mit dem Internet beziehungsweise dem Handynetz verbunden. Wir brauchen bloß einen Knopf zu drücken, und schon gehen sie auf Sendung. Dann weiß die ganze Welt sofort, dass du entführt worden bist, es lässt sich nicht mehr vertuschen. Klar, es wird nicht lange dauern und man wird dich finden und hier rausholen. Für uns sieht es dann natürlich schlecht aus. Aber was meinst du, wie deine werte Partei dich wohl in Zukunft behandeln wird? Wie wird sie diese haarsträubende Geschichte deuten? Ganz gleich, wie du und wir als deine Kidnapper die Sache erklären würden – wer wird solch zweifelhaften Gründen für eine Entführung Glauben schenken? Alle werden darüber mutmaßen, was sich wirklich hinter der Sache verbirgt! Ganz zu schweigen von deinen nächtlichen Spritztouren durch Peking, die sicher die Fantasie der Leute anregen werden. Glaubst du, deine werte Partei wird dir weiterhin vertrauen und dich einsetzen? Natürlich werden wir vor unserer Festnahme noch nach Kräften alle möglichen Halbwahrheiten und Dokumente mit angeblich von dir ausgeplauderten Staatsgeheimnissen streuen, die sich im Internet von ganz alleine weiter verbreiten werden. Deiner Parteikarriere kannst du dann Lebewohl sagen, meinst du nicht auch? Du weißt besser als wir, wie die Partei denkt und funktioniert, du kannst selbst urteilen.«
»Wenn das passiert, seid ihr tot«, drohte He Dongsheng.
»Wir sind jetzt schon so gut wie tot, stehen mit einem Bein bereits im Sarg. Aber wenn wir sterben, nehmen wir dich mit. Wir lassen dir zwar dein Leben – aber wir beerdigen deine Karriere.«
He Dongsheng lachte auf: »Ha! Das ist also dein ›gemeinsamer Tod‹?«
»Ganz genau. Man könnte es auch als ›gemeinsamen Selbstmord‹ bezeichnen.«
»Und der andere Teil deines grandiosen Plans? »
»Als Erstes werden wir dir ein paar Fragen stellen, die du uns ehrlich beantworten wirst. Und zwar ausnahmslos jede unserer Fragen – so lange, bis wir zufrieden sind. Sobald es hell wird, lassen wir dich dann gehen.«
»Sobald es hell wird, lasst ihr mich gehen? Das glaube ich nicht!«
»Ob du mir glaubst oder nicht, ist unerheblich. Die Frage ist nur, ob du dich auf dieses Spiel einlässt. Gemeinsam leben oder zusammen sterben. Spielst du nicht mit, dann entscheidest du dich für den gemeinsamen Tod. Wir haben sowieso keine Überlebenschance, also vernichten wir erst deine Karriere und überlegen uns dann, ob wir den Rest von dir am Leben lassen oder nicht. Spielst du mit, dann ist bei Tagesanbruch game over, du fährst in deinem Land Rover nach Hause und tust, als sei alles gewesen wie immer: Du konntest nicht einschlafen und bist mit dem Auto durch die Gegend gefahren, bis du irgendwann müde geworden bist. Du hast im Wagen geschlafen und bist im Morgengrauen nach Hause gefahren. Es ist kein Geheimnis, dass du so deine Nächte verbringst. Niemand wird Fragen stellen.«
»Und weiter?«
»Nichts weiter. Oder besser gesagt: Du gehst weiter deiner glanzvollen Zukunft entgegen und wir unserem bescheidenen Schicksal; wir behalten unser Leben, du deinen Einfluss. Alles, was heute Nacht passiert, bleibt unter uns. Wenn diese Nacht vorbei ist, wird keiner von uns jemals wieder davon sprechen, so als wäre das alles hier nie passiert.«
»Wieso sollte ich darauf vertrauen, dass ihr nicht redet?«
»Du bist völlig zurecht misstrauisch. Aber sieh mal: Sobald wir plaudern, haben wir doch ein Killerkommando auf den Fersen, das uns bis ans Ende der Welt verfolgen und schließlich zur Strecke
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