Die Feuer des Himmels
Schnee
D ie Straßen Eianrods verliefen schnurgerade und trafen sich im rechten Winkel. Wo es notwendig war, durchschnitten sie als Hohlwege die ansonsten terrassenförmig angelegten Hügel. Die schiefergedeckten Häuser wirkten ausgesprochen kantig, als bestünden sie nur aus Senkrechten. Eianrod war nicht an Couladin gefallen. Als die Shaido hier durchkamen, hatte sich keine Menschenseele im Ort aufgehalten. Viele der Häuser bestanden jetzt allerdings nur noch aus verkohlten Balken, und nur die Grundmauern standen noch. Das traf besonders für die breiten, dreistöckigen Marmorgebäude mit ihren Balkonen zu, die nach Moiraines Aussage reichen Kaufleuten gehört hatten. Zerschlagene Möbel und zerfetzte Kleider lagen auf den Straßen herum, neben den Scherben von Geschirr und Glasscheiben, einzelnen Stiefeln und Werkzeugen und Spielsachen...
Die Brände waren zu verschiedenen Zeitpunkten ausgebrochen. Das war auch Rand klar, als er den unterschiedlichen Zustand der verkohlten Balken wahrnahm und den manchmal stärkeren, manchmal schwächeren Brandgeruch, der sich in den Ruinen gehalten hatte. Lan war sogar in der Lage, die Reihenfolge der Kämpfe festzustellen, in denen die Stadt mehrmals erobert und zurückerobert worden war. Wahrscheinlich hatten die Kämpfe zwischen verschiedenen Häusern stattgefunden, die sich um die Nachfolge auf dem Sonnenthron stritten. Nur beim letzten Mal - so, wie die Straßen nun aussahen - hatten wohl Räuberbanden Eianrod eingenommen. Viele dieser Banden, die Cairhien unsicher machten, gehörten zu keinem der Adelshäuser und hielten nur einem Herrn die Treue: dem Gold.
Rand trat zu einem Haus, das einst einem reichen Kaufmann gehört haben mußte. Es befand sich am größeren der beiden Plätze dieser Stadt und bestand aus drei quadratisch angelegten Stockwerken aus grauem Marmor mit Steinbalkonen und einer breiten Treppe mit dicken, kantigen Steingeländern; von den oberen Stufen konnte man auf einen stillen Springbrunnen hinabsehen, in dessen rundem Becken nur noch Staub lag. Er hatte die Gelegenheit nützen wollen, endlich wieder einmal in einem richtigen Bett zu schlafen, und er hoffte insgeheim, Aviendha würde das Zelt vorziehen, ob nun seines oder das der Weisen Frauen. Es war ihm gleichgültig, solange er nur nicht wieder versuchen mußte, einzuschlafen, während nur wenige Schritt von ihm entfernt ihre Atemzüge erklangen. In letzter Zeit hatte er sich schon eingebildet, er könne ihr Herz schlagen hören, obwohl er noch nicht einmal Saidin in sich aufgenommen hatte. Doch falls sie wieder bei ihm schlief, hatte er Vorsichtsmaßnahmen ergriffen.
Die Töchter blieben an der Treppe stehen. Ein paar umkreisten das Gebäude, um es von allen Seiten zu bewachen. Er hatte schon befürchtet, sie würden das Gebäude, selbst nur für die eine Nacht, zum Dach der Töchter erklären. Und als statt dessen er dieses Haus ausgewählt hatte, eines der wenigen im Ort, das noch ein festes Dach aufwies und bei dem fast alle Fenster heil waren, machte er Sulin unmißverständlich klar, daß er dies zum Dach der Weinquellenbrüder erkläre. Niemand dürfe es betreten, der nicht aus der Weinquelle in Emondsfeld getrunken habe. Ihrem Blick nach zu schließen, den sie ihm zuwarf, wußte sie sehr wohl, worauf er hinauswollte, aber keine folgte ihm weiter als bis zur Eingangstür, die aus schmalen, senkrechten Holztafeln zusammengesetzt schien.
Die großen Innenräume waren kahl. Weißgekleidete Gai'schain hatten ein paar Decken für den eigenen Bedarf in einer weiträumigen Halle ausgebreitet, deren hohe Stuckdecke ganz aus nüchternen Quadraten zusammengesetzt war. Die Gai'schain konnte er nicht wegschicken, auch wenn es ihm lieber gewesen wäre, genausowenig wie Moiraine, falls sie nicht irgendwo anders schlief. Welche Befehle er auch erließ, um nicht gestört zu werden, sie fand doch immer einen Weg, an den Töchtern vorbeizukommen, und es bedurfte eines wirklich harschen Befehls, damit sie auch wirklich ging.
Die Gai'schain, ob Mann oder Frau, erhoben sich geschmeidig, noch bevor er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Sie würden nicht vor ihm Schlafen gehen, und ein paar würden sich ablösen, um auch in der Nacht bereitzustehen, falls er irgendwelche Wünsche hatte. Er hatte versucht, sie davon abzubringen, aber einem Gai'schain zu sagen, er oder sie solle nicht dienen, wie es der Brauch war, hatte denselben Effekt wie ein Tritt gegen einen Sack Wolle: welchen Eindruck seine Zehen
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