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Die Feuer von Eden

Titel: Die Feuer von Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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den anderen haole -Geistern gefangen. Ich erinnerte mich an die Bemerkung der Pele-Frau, daß der Eber mich schänden und dann meine hi-hi’o fressen würde, sollte ich ihn wecken. Abermals lief mir voller Abscheu eine Gänsehaut über den Körper, und meine Haut wurde kalt und klamm, als mich ein erneuter Schwindelanfall packte; abermals stützte mich Mr. Clemens mit einer starken Hand auf meinem nackten Rücken. Solche Intimitäten wären noch vor einer Stunde undenkbar gewesen; nun waren sie höchst willkommen.
    Wir schritten durch die kleine Gemeinde christlicher Geister. Wir waren gekommen, um unseren Freund, Reverend Haymark, zu holen, aber die alte Frau in der Hütte hatte uns befohlen, alle haole uhane aus der Höhle zu entfernen, damit Pele die Schlacht gegen ihre Feinde wiederaufnehmen konnte. Ich sah Mr. Clemens an, doch es war offensichtlich, daß er ebensowenig wie ich wußte, wie wir diese leuchtenden Gestalten von hier fortlocken sollten.
    Das Problem löste sich von selbst. Den christlichen Geistern mißfiel unser Gestank ebenso wie den kanake- Geistern, und sie bahnten uns eine Gasse. Mr. Clemens ging voran zur Kanzel, wo Reverend Haymarks Geist weiterhin unbeirrt zu einem unaufmerksamen Publikum predigte. Der korpulente Geist unseres Freundes mutete für mich an wie die mißglückte Wachsnachbildung eines lebenden Mannes, den ich einmal gekannt hatte. Sein Mund bewegte sich stumm, bis Mr. Clemens seinen Arm berührte. Augenblicklich drehte Reverend Haymarks uhane sich um, als hätte man ihn gerufen, und er stieg von der behelfsmäßigen Kanzel, um Mr. Clemens zu folgen, während sich der Korrespondent einen Weg zurück durch die Menge bahnte.
    Ich versuchte es mit derselben Methode. Es wirkte tatsächlich. Eine kurze Berührung des Arms unserer verwandten Geister wirkte wie eine stumme Anrufung. Das erste Mal, daß ich einen berührte — die Frau, Mrs. Whister, wie ich annahm —, zog ich meine Hand augenblicklich zurück. Der Arm des Geistes besaß nicht mehr Substanz als ein Windhauch — ein eisiger Windhauch. Doch sie wandte sich gehorsam um und folgte mir zurück zur Schnauze des Ebers und in Richtung Freiheit.
    Ein halbes Dutzend Berührungen, und die haole -Geister folgten uns wie Küken einer Gänsemutter. Mr. Clemens ging uns voran, wobei er kurz zögerte, bevor er sein nacktes Bein über die Schnauze des schnarchenden Schweins hob. Einen Augenblick lang befürchtete ich, daß Reverend Haymarks ektoplasmische Füße den Eber aufwecken würden, doch dann bemerkte ich, daß keiner der Geister beim Gehen tatsächlich den Boden berührte.
    Als es an mir war, über das schlafende Schwein hinwegzusteigen, fühlte ich mein Herz so laut pochen, daß ich überzeugt war, das Ungetüm werde es hören und erwachen. Doch ich nahm allen Mut zusammen und hob abermals mein Bein über die gräßliche Schnauze. Ich konnte jetzt die Zähne des Ungeheuers sehen — riesig, menschlich, schimmernd. Eine kleine Geiferlache hatte sich auf dem Höhlenboden ausgebreitet, wo das Ungeheuer schlief.
    Ich kam ungehindert an ihm vorbei. Die nachfolgenden Geister verschwendeten nicht einmal einen Blick auf den Eber, während sie mir hinterdrein schwebten. Ich fragte mich, was ich wohl tun würde, wenn diese Geister den Rest der Ewigkeit damit zubringen würden, mir zu folgen. Als wir uns weiter auf den Eingang der Höhle zubewegten und die anderen Geister wie Ballons an einem Band hinter uns herschwebten, beschloß ich, mich diesem Problem zu widmen, wenn es sich in der Außenwelt noch immer stellen sollte.
    Einige der anderen Geister folgten unserer Prozession aus einer Art gespenstischer Neugier. Es erscholl kein Ruf, kein Alarm wurde gegeben; tatsächlich war kein einziger Laut zu hören bis auf das keuchende Atmen des Schweine-Ungeheuers — ein Geräusch, das leiser wurde, aber niemals ganz verstummte, ganz gleich, wie weit wir uns durch den Lavatunnel davon entfernten.
    Die meisten der Eingeborenengeister kehrten wieder zur Höhle um, bevor wir den Fuß unseres Eingangsspalts erreichten, aber einer — ein gutaussehender junger Bursche mit leeren Augen — folgte uns weiter. Mit einem Male war ich überzeugt, daß es sich bei diesem Geist um den treuen, doch glücklosen Eingeborenen namens Kaluna handeln mußte, den Reverend Whister aus Versehen getötet hatte, als der Knabe sein Messer hob, um einen Eid zu schwören. Es spielte keine Rolle. Die alte Frau hatte uns nicht aufgetragen, irgendwelche

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