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Die Feuer von Eden

Titel: Die Feuer von Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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befreien, aber um die Innenseite abzuwischen, mußte Eleanor in ihrer Handtasche nach einem Kleenex kramen. Die Ladefläche des Jeeps füllte sich binnen Minuten mit Wasser, also warf Eleanor ihre Handtasche und ihre Reisetasche auf den Beifahrersitz, damit sie trocken blieben. Irgendwo im Westen gab es noch immer einen atemberaubenden Sonnenuntergang zu bewundern, aber hier hatten die tiefhängenden Wolken und der Regen vorzeitig die Nacht hereinbrechen lassen.
    Eleanor erspähte im Rückspiegel ein letztes Mal die Lichter von Hilo, dann war sie auch schon über den Kamm eines Hügels hinweg und sah nichts mehr außer den beiden gigantischen Vulkan-Kolossen rechts und links der Straße und einem Wald aus niedrigen Bäumen. Vor ihr waren keine Lichter, und die Straße hatte keinen Mittelstreifen, so daß es anmutete, als würde man in einen stockdunklen Tunnel einfahren. Eleanor schaltete das Radio ein, erhielt auf der ganzen Skala nur statisches Rauschen und schaltete es wieder ab. Sie begnügte sich damit, im Rhythmus der Scheibenwischer vor sich hin zu summen.
     
    Unvermittelt führte die Straße in einen weitläufigeren Teil des Tals zwischen den beiden Vulkanen — Mauna Kea zu ihrer Rechten, Mauna Loa zu ihrer Linken. Die Wolkendecke riß auf, und Eleanor erhaschte einen Blick auf einen Sonnenuntergang, der hoch an den eisigen Flanken des Mauna Kea erstrahlte. Etwas Metallenes, vielleicht eins der Observatorien, ließ reflektierte Lichtblitze durch das dunkle Tal zucken. Doch noch beeindruckender war der orangefarbene Feuerschein der Mauna-Loa-Eruption zu Eleanors Linken. Der gigantische, zuvor von Wolken verhüllte Vulkan offenbarte sich nun im Lichtschein der Flammen, der von der niedrig hängenden Aschewolke reflektiert wurde. Einen kurzen Moment lang hatte Eleanor das Gefühl, sich einen von dicken Säulen gesäumten Korridor hinunter in ein brennendes Haus zu bewegen. Im Westen vermischte sich der letzte Überrest des feurigen Sonnenuntergangs mit dem Leuchten des Vulkans, um in den Wolken eine Zeitlupenexplosion von Farben auszulösen. Zu ihrer Linken sah Eleanor einen Zwillingsregenbogen neben ihrem Jeep dahineilen, und trotz der Tatsache, daß sie irgendwo gelesen hatte, daß die optischen Gesetze einem nicht erlaubten, einen Regenbogen einzuholen, fuhr sie hindurch.
    Dann setzte der Regen wieder ein, der Sonnenuntergang erlosch, und der reflektierende Feuerschein der Eruption auf der anderen Seite des Mauna Loa wurde fahl.
    Eleanor begann langsam zu verstehen, warum die Leute von der Autovermietung solche Vorbehalte gegen das Befahren der Saddle Road hegten. Die schmale Straße wand sich und buckelte, als versuchte sie, die lästigen Fahrzeuge abzuwerfen. Die Bäume in diesem Tal waren niedrig und häßlich und standen dicht genug, um einem Fahrer die Sicht zu nehmen, so daß Eleanor vor jeder Kurve in der endlos gewundenen Straße abbremsen mußte. Zweimal kamen ihr verbeulte Autos entgegen, und jedesmal waren ihre Scheinwerfer erst sichtbar, als sie schon fast Nase an Nase mit dem Jeep waren. Nach fünfzehn oder zwanzig Meilen dieser strapaziösen Fahrt erspähte Eleanor die einzige Abzweigung auf diesem ermüdenden Landstraßenabschnitt: Ein kleines Schild zeigte einen schmalen Weg an, der nach rechts Richtung Mauna Kea State Park und dem Mauna Kea selbst abbog. Sie wußte vom Studium der Karte, daß diese Straße etwa fünfzehn Meilen weiter und gute zweitausendvierhundert Meter höher nahe dem Vulkangipfel in einer Sackgasse endete, aber es wäre leicht gewesen, hier falsch abzubiegen und den Irrtum auf die harte Tour zu erkennen. Eleanor versuchte sich vorzustellen, welche Hingabe es von den Astronomen verlangte, die dort oben lebten und arbeiteten, die die kalte, dünne Luft in gut viertausend Meter Höhe atmeten und versuchten, ihre Fotos und Messungen zu machen, bevor Höhenkrankheit und die damit einhergehende Verblödung aufgrund von Sauerstoffmangel sie zur Erholung wieder nach unten zwangen. Eleanor war immer der Ansicht gewesen, daß die akademische Umgebung einer Uni oder eines Colleges eine ähnlich zwangsläufige Verblödung hervorrief, aber wenigstens konnte man dort atmen.
    Jenseits der Mauna-Kea-Abzweigung wurde die Landstraße zu einer reinen Tortur. Schwach im orangefarbenen Lichtschein erkennbare Schilder verkündeten, daß es verboten sei, am Straßenrand anzuhalten, und warnten vor nicht explodierten Granaten. Zweimal erspähte Eleanor große, gepanzerte Fahrzeuge, die zur

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