Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
Vom Netzwerk:
geschart hatten. Kassandra stand immer noch im Schutz der Hecke und entdeckte Oenones Sohn in einiger Entfernung unter einem niedrigen Baum. Sie wartete einen günstigen Augenblick ab, verließ ihren Schutz, rannte zu dem Kleinen, riß ihn an sich und lief mit ihm zu der Gruppe um ihre Mutter. Atemlos erreichte sie die verwirrte Oenone und drückte ihr den Sohn in die Arme. Die Frauen waren völlig verstört, atmeten aber erleichtert auf, als sie sahen, daß die Achaier zu ihren Schiffen zurück rannten. Kassandra entdeckte die große Gestalt von Agamemnon; jetzt war er kein Ungeheuer mehr, sondern nur ein Mann auf der Flucht, wenn auch stärker und grausamer als die meisten seiner Männer. Aber selbst bei diesem Anblick gefror ihr das Blut in den Adern.
    Hekabe sah sich um und zählte ihre Frauen. »Sind alle da? Fehlt jemand?«
    Eine Gruppe Frauen aus dem Tempel des Sonnengottes stand ganz in der Nahe, und Phyllida, die sie zählte, rief plötzlich: »Wo ist Chryseis? Ist sie nicht bei dir, Kassandra? Ich dachte, ich hätte sie an deiner Seite gesehen…«
    »Sie war bei mir. Vielleicht ist sie immer noch in der Hecke. Ich glaube,  sie  sind inzwischen wieder alle auf ihren Schiffen.«
    »Nein«, erklärte Phyllida entschlossen, »du darfst dich nicht zeigen. Du bist die Tochter des Priamos, und jeder der Räuber würde alles riskieren, um dich in die Hand zu bekommen. Bleib du hier bei deiner Mutter«, bestimmte sie, als Hekabe zu ihnen trat und Kassandras Hand ergriff.
    »Dir ist also nichts geschehen. Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Woher wußtest du, daß sie uns angreifen würden?« 
    »Ich hielt es für sehr wahrscheinlich«, erwiderte Kassandra, »und ich habe mich nicht geirrt.«
    »Aber sie haben keine Frauen geraubt«, meinte Hekabe, »und ihre ganze Mühe war umsonst.«
    »Nein, ganz so ist es nicht«, erwiderte Kassandra. »Sie haben eine Jungfrau aus dem Apollontempel mitgenommen.«
    »0 wie entsetzlich!« rief Hekabe.
    Kassandra hielt den Verlust insgeheim nicht für sonderlich groß; das Mädchen hatte von Anfang an nur Ärger gemacht, und sie bezweifelte, daß Chryseis noch Jungfrau war.
    Aber sie freute sich, daß der Überfall so wenig Schaden angerichtet hatte. Als sie Helena sah, fragte sie, wann das Kind geboren werden sollte. Wieder einmal schien Helena unter dem Zauber der Göttin zu stehen; selbst in diesem letzten und unvorteilhaftesten Stadium der Schwangerschaft war sie strahlend schön und zog alle Blicke auf sich. Helena lächelte Kassandra so liebevoll an, daß ihr beinahe die Knie weich wurden. Die Gunst der Göttin war sehr viel wert, denn ohne sie hatten die Frauen die spartanische Königin vielleicht in Stücke gerissen. Schließlich hatte sie die Menschen in Troia durch diesen Krieg in Gefahr gebracht.  Ich habe keinen Ehemann oder Geliebten,  dachte Kassandra,  um dessen Leben ich bangen muß.  Helena umarmte sie, und Kassandra erwiderte die Begrüßung herzlich.
    Seltsam. Als sie nach Troia kam, beschwor ich meinen Vater und meine Mutter, nichts mit ihr zu tun zu haben. Und jetzt liebe auch ich sie. Wenn man versuchen würde, sie zu vertreiben, würde ich als erste für sie sprechen. Ist das der Wille der Göttin, die sie verkörpert? Diene ich Aphrodite, indem ich mich mit Helena anfreunde? Nein. Jetzt trägt sie ein Kind, und sie muß die Gunst der Erdmutter erflehen.
    »Wann erwartest du dein Kind?«
    »Es kann nicht mehr lange dauern«, antwortete Helena.
    »Und da sein Vater Paris ist, wird Menelaos vielleicht abziehen und dich hier zurücklassen«, sagte Kassandra.
    Helena lächelte bitter. »Selbst wenn er das vorschlagen sollte, würde niemand auf ihn hören. Ach Kassandra, du weißt ebenso gut wie ich, daß meine Schönheit und mein Ehebruch nur ein Vorwand für diesen Krieg sind. Agamemnon hat schon seit Jahren nach einem guten Grund gesucht, Troia anzugreifen. Ich könnte um alles wetten, auch wenn ich heute nacht im Schutz der Dunkelheit zu Menelaos zurückkehren sollte, würde meine Leiche morgen an der Stadtmauer hängen, und die Achaier würden unter dem Vorwand, mich zu rächen, weiterkämpfen.«
    Das klang so einleuchtend, daß Kassandra darauf verzichtete, noch etwas zu sagen, und Helena fuhr fort: »Ich habe oft gedacht, es wäre das beste, wenn ich eine Jungfrau der Mondgöttin geworden wäre. Selbst heute bin ich manchmal versucht, den Männern für immer zu entsagen und mich in IHR Heiligtum zurückzuziehen. Glaubst du, SIE würde mich

Weitere Kostenlose Bücher