Die Feuerbraut
mit der ganzen Autorität eines Mannes, der vor seiner Flucht über mehrere Dutzend Mitbrüder und etliche hundert Knechte und Mägde auf den zum Kloster gehörenden Gutshöfen geherrscht hatte.
Ehrentraud löste zögernd den Schleier von ihrem Gesicht und blickte ihren Onkel ängstlich an. Der Prior prallte zurück, als er die dicke, dunkelrot und violett unterlaufene Narbe sah, die durch Portius’ Schuld eine Gesichtshälfte völlig verunstaltete.
»Bei Jesus Christus, unserem Herrn! Wie ist das möglich? So schlimm hast du ja nicht einmal nach dem Überfall der Schweden ausgesehen. Da muss Hexerei im Spiel sein!«
»Das ist es wahrscheinlich auch!« Ehrentraud atmete auf, weil er nicht wie befürchtet sie beschimpfte, sondern die Schuld bei anderen suchte. Doch das half ihr nicht viel, wie seine nächsten Worte verrieten.
»Mit dieser Entstellung hast du keine Aussicht mehr, einen auch nur halbwegs passenden Ehemann zu finden. Daher wirst du den Schleier nehmen. Ich bin mit etlichen Äbtissinnen bekannt, die sich für dich einsetzen werden. Da du nicht dumm bist, kannst du in der Hierarchie des Klosters rasch aufsteigen und innerhalb weniger Jahre selbst Äbtissin werden.«
Ehrentraud schauderte bei der Aussicht, unter der Fuchtel strenger Nonnen leben zu müssen. Im Kloster würde ihr nach Liebe hungernder Körper verdorren wie ein abgebrochener Zweig. Nur mühsam gelang es ihr, sich zu sammeln und ihrem Onkel ins Gesicht zu blicken. »Da ich durch Hexerei verunstaltet wordenbin, muss ein anderer, stärkerer Zauber dafür sorgen, dass wieder alles in Ordnung kommt.«
Der Prior fuhr empört auf. »Willst du dich mit den Kräften der Hölle einlassen?«
»Nein, natürlich nicht!«, wehrte Ehrentraud ab. »Ich denke da an hochgelehrte Herren, Alchimisten, denen alle Geheimnisse der Welt bekannt sind, und erfahrene Doktoren. Jene, die du mir geschickt hast, waren nur Scharlatane, die dem Wirken böser Mächte hilflos gegenüberstanden.«
Der Prior rieb sich über die Stirn. »Ich war überzeugt gewesen, Portius und Lohner seien in der Lage, dir zu helfen.« Es klang beinahe entschuldigend und verriet Ehrentraud, dass die Gefahr, umgehend hinter Klostermauer zu verschwinden, fürs Erste gebannt war.
»Hochwürdigster Herr Oheim, ich bitte Euch, mir auch weiterhin beizustehen. So wie ich jetzt aussehe, wird man an jedem Ort der Welt das Gesicht von mir abwenden.« Ehrentrauds Tränen blieben nicht ohne Wirkung auf den sonst so strengen Mann.
Lexenthal sagte sich, dass sie in ihrem jetzigen Zustand eher einer grotesken Kreatur ähnlich sah als einem Frauenzimmer, das als Kind zu großen Hoffnungen Anlass gegeben hatte, und in ihm wuchs die Wut auf das Teufelsgeschöpf, das Schuld an der Entstellung seiner Nichte trug.
»Die junge Hexe hat es also trotz der Reliquie, die dich schützen sollte, fertiggebracht, dich noch tiefer ins Elend zu stürzen. Dafür wird sie im Diesseits und im Jenseits bitter bezahlen!«
»Es war Irmelas Fluch, dessen bin ich mir ganz sicher!« In dem Augenblick hätte Ehrentraud den Kaiser oder gar den Papst in Rom der Hexerei bezichtigt, nur um sich die Gunst ihres Onkels zu erhalten.
Lexenthal biss sich auf die Lippen, bis er Blut schmeckte, und überhäufte sich innerlich mit Vorwürfen. Niemals hätte er seineNichte den magischen Ränken der kleinen Hochberg ausliefern dürfen, sondern sie an einen sicheren Ort bringen müssen. Er dachte an die Hexe, die vor wenigen Tagen ihr Ende auf dem Scheiterhaufen gefunden hatte. Bei dieser keifenden alten Vettel war es ein Leichtes gewesen, sie der irdischen Gerechtigkeit zuzuführen. Dabei hatte das Weib gewiss nur einen Bruchteil des Schadens angerichtet, den Irmela von Hochberg sich hatte zuschulden kommen lassen. Doch solange er nicht genügend Beweise hatte, um das Mädchen als Hexe anklagen zu können, musste er alles vermeiden, was diese Teufelsbuhle warnen konnte. Daher schien es ihm jetzt noch wichtiger, sie durch seine Nichte überwachen zu lassen.
»Diese Schadhexe wird dafür bezahlen, das schwöre ich dir!«
»Das gibt mir mein Gesicht auch nicht zurück!«, begehrte Ehrentraud auf. »Ihr hättet mich nie in Irmelas Gewalt geben dürfen. Sie ist doch eine Hochberg, und diese Sippe hasst Euch, seit Ihr Irmelas Mutter dem Hexenrichter übergeben habt. Das hier war ihre Rache!«
Lexenthal nickte unwillkürlich. Ihm war klar, dass er in seinem Bestreben, die kleine Hexe zu entlarven, seine Verwandte in höchste Gefahr gebracht
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