Die Feuerkämpferin 01 - Im Bann der Wächter
ausschöpfen.
Wieder einmal überließ sie sich ganz den Instinkten ihres Körpers. Und der erinnerte sich. Wusste, wie er sich völlig lautlos bewegte, unbemerkt an einer Wand entlangschlich, eine Wache umging, ohne entdeckt zu werden.
Trotz der körperlichen Anstrengung, die sie in den Muskeln spürte, fühlte sie sich bald schon immer wohler. Mittlerweile hatte sie begriffen: Wenn ihr Körper das Kommando übernahm, kam ihr Geist endlich zur Ruhe. Dann gab es nichts anderes mehr als diese eingespielten Abläufe von Muskeln, Gliedern, Sehnen. Und sie begriff, dass Amhal auch deswegen fortgegangen war, nicht um vor ihr zu fliehen, sondern um sich selbst zu spüren. Denn wenn der Schmerz so stark wurde, dass es einem den Atem nahm, half nur noch eins: den Geist auszuschalten und dem Körper die Heilung zu überlassen.
So durchquerte sie den Palast und blieb ein letztes Mal, ein gutes Stück entfernt, vor der bewachten Kammer der Prinzessin stehen. Von keinem Menschen fiel ihr der Abschied so schwer wie von Amina. Eine große Nähe war zwischen ihnen entstanden in den vergangenen Monaten, und der Gedanke, sie zu verlieren und ihr wehzutun, brachte ihre Entschlossenheit ein wenig ins Wanken.
Sie warf ein Steinchen durch den Flur. Wie vorhergesehen, schrak der Soldat sofort auf und bewegte sich ein paar Schritte in die Richtung, aus der er das Geräusch gehört
hatte. Blitzschnell huschte Adhara zur Tür, schob den Brief darunter durch und war sofort wieder in der Dunkelheit verschwunden.
Ohne etwas gemerkt zu haben, nahm die Wache ihren Platz vor der Tür wieder ein.
Während sich Adhara davonschlich, dachte sie an Kalths Worte, an die Traurigkeit in seinem Blick und schwor sich, dass sie zurückkehren würde, um jeden Preis.
Der Park empfing sie mit frühherbstlicher Kühle. Sie versuchte, ihn rasch zu durchqueren. Zu viele Erinnerungen verbanden sich mit diesem Ort. Überall zwischen diesen Sträuchern spürte sie Amhal, ja, fast meinte sie, ihn über den Kiesweg auf sich zukommen zu sehen, ein schwarzer Punkt, der größer und größer wurde.
Sehr viel weniger Wachen als drinnen im Palast waren im Park postiert, und da sich Adhara hier zudem noch sehr gut auskannte, fiel es ihr leicht, unbemerkt zur Umfassungsmauer zu gelangen. Hinter einem Busch verborgen, wartete sie, bis ein Wachsoldat vorüber war, und rannte dann los. Im Nu war sie hinübergeklettert und tauchte ins bedrohlich wirkende Dunkel von Makrat ein. Ihr altes Leben war zu Ende. Nun wurde ein neues Kapitel aufgeschlagen. Nur einen Moment lang überkam sie Furcht, als sie in die im Finstern liegenden Gassen blickte und ihr der faulige Geruch der Stadt in die Nase stieg. Dann machte sie sich auf den Weg.
Die Tränen, die auf das Blatt tropften, verwischten die Tinte und ließen das Pergament abgegriffen und antik wirken. Aminas Augen waren mittlerweile so gerötet, dass sie kaum noch die Schrift erkennen konnte. Aber das war auch nicht nötig: Sie kannte den Inhalt längst auswendig.
Liebe Amina,
wenn Du morgen aufwachst, werde ich fort sein. Du musst mir glauben, wenn ich Dir sage, dass es mir furchtbar wehtut,
mich von Dir zu trennen. Ich gebe zu, als Dein Vater mich bat, Deine Freundin zu werden, willigte ich nur ein, um Arbeit zu haben. Ich wusste nicht, was es bedeutet, mit jemandem befreundet zu sein, und Du machtest mir Angst mit Deinen vielen Launen und den ausgelassenen Spielen. Aber dann lernte ich Dich besser kennen und schätzen, und so bist Du mir ans Herz gewachsen. Mit Dir zusammen zu sein, teilzuhaben an Deinen Spielen und Fantasien, hat mir gutgetan, hat mich reifer werden lassen und aus dieser Puppe ohne Gefühle und Erinnerungen, die ich war, die Person gemacht, die Du kennst. Vor allem Dir habe ich dieses neue Leben zu verdanken.
Aus diesem Grund komme ich mir auch wie ein Feigling vor, weil ich so einfach über Nacht verschwinde, ohne mich von Dir zu verabschieden. Aber ich weiß, dass Du mich nicht verstehen würdest. Du würdest mich zurückhalten wollen, und das vielleicht auch zu Recht. Müsste ich Dir ins Gesicht schauen, verließe mich wahrscheinlich der Mut, das zu tun, was ich tun muss.
Amhal braucht mich. Und auch ich selbst kann, wie Du gesehen hast, ohne ihn nicht weitermachen. Ich habe Dir das ja schon einmal zu erklären versucht: Nur ich kann ihn retten, und nur er mich. Wir gehören einander, so ganz und gar, dass wir es vielleicht selbst gar nicht ermessen können. Er ist mein, und ich bin sein. Und
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