Die Feuerkämpferin 01 - Im Bann der Wächter
neue Kundschafter über den Saar schicken und, wenn es zum Krieg kommt, hier mein Hauptquartier aufschlagen. Auf meine Leute, meine Agenten, kann ich mich immer noch verlassen. Aber ich will im Verborgenen wirken. Neor ist jetzt der König, und wie ein König tritt er auf. Für mich ist es an der Zeit, wieder in den Schatten einzutauchen, mich wieder auf das zu besinnen, was ich als junges Mädchen beherrschte, bevor Learco in mein Leben trat und sich alles von Grund auf änderte. Denn du weißt: Die Finsternis, der Schatten, ist mein Reich.«
Lange blickten sie sich an, ohne etwas zu sagen. In diesen langen Friedensjahren hatten sie solch ein Einverständnis entwickelt, dass Worte manchmal überflüssig waren.
Dubhe erhob sich. »Ich bräuchte ein Zelt für mich. Und zunächst einmal muss ich mich ausruhen. Wir sehen uns dann morgen.« Und entschlossenen Schritts ging sie hinaus. Die Dubhe früherer Tage war wieder da.
Es regnete, und das Wasser prasselte gegen die Wände ihres Zeltes. Dubhe fühlte sich steif in den Gelenken. Die Pritsche und die Geräusche der Nacht erzählten ihr von früheren Zeiten, von ihrem Leben vorher . Es war schon unglaublich, wie jetzt die Gegenwart an die Vergangenheit anknüpfte, so als sei das Leben ein weiter Kreis und führe einen schließlich wieder genau dorthin zurück, wo alles begonnen hatte. Doch die verflossenen Jahren machten sich bemerkbar, und wie!, jedes einzelne. Sie überlegte, dass sie vielleicht doch nicht mehr für dieses harte Leben geschaffen war. Vielleicht hatten sich ihre Glieder zu sehr an die Annehmlichkeiten und
den Luxus gewöhnt, so dass es ihr jetzt nicht mehr gelang, auf dem Boden zu schlafen, auf trockenem Laub, wie sie es als junges Mädchen so häufig getan hatte. Vor allem aber merkte sie, wie schwer es ihr fiel, allein zu schlafen.
Sie vermisste Learcos Körper neben sich, seine sanften, nur ein klein wenig keuchenden Atemzüge. Fünfzig Jahre hatten sie miteinander verbracht und sich in dieser Zeit so sehr aneinander gewöhnt, dass sie jetzt, so allein, kaum noch in den Schlaf fand.
Dies war wahrscheinlich auch der Grund, weshalb sie es überhaupt hörte: nicht ihre in den langen Friedensjahren abgestumpften Sinne, nicht die Wachsamkeit eines auf die Gefahren des Kampfes trainierten Körpers, sondern die Schlaflosigkeit, einerseits typisch für ihr Alter, andererseits aber auch bedingt durch die vielen Erinnerungen, die sie bedrängten. Es war ein Geräusch, das sich abhob vom Prasseln des Regens gegen die Zeltwände, dumpf und kurz, und sie an etwas Bestimmtes erinnerte.
Sie sprang auf und griff zum Schwert. Eine Waffe, die ihr eigentlich fremd war. Ganz im Gegensatz zum Dolch, der ihr zum Körperfortsatz geworden war, weil sie ihn immer mit sich trug. In den Jahren als Königin hatte sie dann auch den Umgang mit dem Schwert erlernt, was wichtig gewesen wäre, wenn sie eines Tages, was nicht ausgeschlossen war, das Heer hätte anführen müssen. Und als sie jetzt von Makrat aufgebrochen war, hatte sie Learcos Schwert mitgenommen, eine Art Amtsübergabe, ein sichtbares Zeichen von Learcos Traum, der sie immer begleiten sollte.
Einige Augenblicke stand sie wie blind im strömenden Regen und der Finsternis, doch dann zerriss ein greller Lichtschein die Nacht, weiter hinten, wo die Kranken gepflegt wurden. Es war eine Stichflamme, wie sie sie kannte und die einen scharfen Geruch freisetzte. Ihr Herz setzte einen Schlag aus.
Geschrei, Verwirrung. Menschen, die aufgeregt durcheinanderliefen
und sich irgendwie zu retten versuchten, Soldaten, die noch fassungslos dastanden, weil sie nicht begriffen, was da vor sich ging.
Dubhe hob den Blick und sah es: ein gewaltiges Tier, das am milchigen, wolkenschweren Himmel hin und her schoss. Doch es sah anders aus als ein Drache, schmaler, der Kopf flacher, und ähnelte mit seinem länglichen, gewundenen Leib eher einer Schlange. Vor allem besaß es keine Vorderpranken, dafür aber immens große Flügel. Sogleich dachte Dubhe an Sans Lindwurm, der ihr von Anfang an unheimlich gewesen war.
Nur einen kurzen Moment stand sie fassungslos da, dann riss sie das Kampfgeschrei eines Heeres, das auf ihr Lager einstürmte, aus der Erstarrung.
Sie hatte noch nie mitten im Schlachtgetümmel gestanden, geschweige denn eine Heerschar angeführt. Gewiss hatte sie Learco seine Truppen in die Schlacht führen sehen, hatte miterlebt, wie er kämpfte in jenem ersten Jahr seiner Herrschaft, das sie an seiner Seite an der
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