Die Feuerkämpferin 02 - Tochter des Blutes
Adhara sich die Gesichter um sie herum genauer anschauen. Sie waren alle voller Flecke, ein sicherer Hinweis, dass sie sich mit der Seuche angesteckt, aber überlebt hatten. Der eine hatte erklärt, dass sie alle gesucht wurden, und es gehörte nicht viel Fantasie dazu, um zu begreifen, dass sich diese Leute gegen die neuen Gesetze auflehnten, die dieser Rat der Weisen der Stadt verordnet hatte. Es schien im heutigen Makrat besonders leicht zu sein, sich eines Verstoßes schuldig zu machen. Auf ihrem Weg durch die Stadt hatten sie an den Hauswänden unzählige öffentliche Bekanntmachungen gesehen, und bei allen hatte es sich um eine Vorschrift oder ein Verbot gehandelt.
Nachdem Adrass die Wunde versorgt hatte, lud die Gruppe sie ein, ein wenig schimmelig riechendes Fleisch
und trockenes Brot mit ihnen zu teilen. »Die besseren Sachen behalten diese Weisen natürlich alle für sich selbst. Das hier haben wir von einem Karren mit Lebensmitteln geklaut, die auch für den Rat bestimmt waren. Ist aber schon eine Weile her«, erklärte die einzige Frau in dem Kreis, die wie ein Mann gekleidet war und einen Dolch am Gürtel trug. Auch sie war ganz auf Kampf eingestellt.
»Aber nun erzählt mal von euch. Was habt ihr so erlebt?«, fragte schließlich einer aus der Gruppe, während sich alle Blicke auf die beiden Gäste richteten. Die schauten sich ratlos an. Eine einleuchtende Geschichte für einen solchen Fall hatten sie nie abgesprochen. Doch irgendetwas erzählen mussten sie ihnen. Außerdem hatten diese Leute eine Erklärung verdient: Schließlich hatten sie ihnen das Leben gerettet.
»Wir kommen von außerhalb und suchen hier etwas Bestimmtes«, begann Adhara sehr unbestimmt.
Sie vermengte Erfindung und Wahrheit, erzählte, dass sie im Auftrag der Ordensgemeinschaft des Blitzes unterwegs seien und in Makrat Bücher besorgen sollten, die für die Bekämpfung der Seuche gebraucht würden.
»Gegen die Seuche ist kein Kraut gewachsen«, erwiderte ein Mann aus der Gruppe, ein kräftiger, bulliger Typ, und trat einige Schritte zu ihnen vor. Er schien der Anführer zu sein: Die anderen behandelten ihn mit einer gewissen Ehrfurcht, und der Junge hatte ihm, als sie gekommen waren, sogleich Bericht erstattet. »Ihr müsst doch auch gesehen haben, wie heruntergekommen Makrat heute ist. Daran ist nur die Seuche Schuld. Alles geht den Bach runter, und das schon seit Wochen.«
Adrass zuckte kaum merklich zusammen. Adhara konnte sich den Grund dafür denken, aber es gelang ihr nicht, in irgendeiner Weise mit ihm zu fühlen. Obwohl sie einige Tage zusammen gereist waren, war zwischen ihnen keinerlei engere Bindung entstanden: Er behandelte sie weiter wie das Ergebnis eines Experiments, und sie konnte nichts anderes als ihren Peiniger in ihm sehen.
»Ich war schon lange nicht mehr hier. Was ist denn genau geschehen?«, fragte er. Grabesstille machte sich im Saal breit. Offenbar waren sie alle beherrscht von einer unterdrückten Wut.
Wieder antwortete der Anführer für die anderen: »Verdammt sei Neor und sein ganzes Geschlecht. Der hat uns hier vermodern lassen. Kaum hat dieser Feigling erkannt, was auf uns zukommen würde, ist er mit seinem ganzen Hof nach Neu-Enawar geflohen. Stimmt schon, anfangs hat er noch versucht, die Ordnung in der Stadt aufrechtzuerhalten. Aber dann hat er uns einfach im Stich gelassen und schutzlos der Seuche ausgeliefert.«
»Neor ist doch tot«, warf Adhara mit leiser Stimme ein.
»Und gepriesen sei der Held, der ihn getötet hat«, antwortete der Anführer und spuckte voller Verachtung aus. »Learco …, ja, das war noch ein König. Aber nach seiner Beerdigung wurde es von Tag zu Tag schlimmer. Das lag auch daran, dass die Königin den Hof verließ. Damit lösten sich die Ordnungstruppen in der Stadt praktisch auf, denn die meisten Soldaten zogen mit ihr an die Front, und geblieben sind nur einige wenige, die sehen mussten, wie sie in der Stadt, die immer mehr im Chaos versank, ihren Dienst noch ausüben sollten.«
Mit einem verständnisvollen Lächeln deutete der Junge auf den Anführer. »Ihr müsst wissen, Dowan hier war einer von ihnen! Als man von ihm verlangte, ebenfalls zur Front aufzubrechen, ist er desertiert.«
»Ja, mein Platz war hier. Ich war in die Armee eingetreten, um die Ordnung in Makrat aufrechtzuerhalten. Und das habe ich auch getan, solange ich konnte. Wegen nichts und wieder nichts, einem bloßen Niesen, wurden die Leute auf offener Straße vor aller Augen getötet.
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