Die Feuerkämpferin 02 - Tochter des Blutes
Rest zuwerfen. Doch er hatte sich schon in Bewegung gesetzt und war ein Stück vorausgegangen.
So stiegen sie immer weiter hinab. Wie ein Trichter zog sich die Bibliothek mit jedem Stockwerk enger zusammen, während die Luft wärmer und wärmer wurde. Mittlerweile hörten sie ein seltsames Gluckern, das aus den tiefsten Tiefen der Erde aufstieg und den weiten Raum erfüllte. Die bunten Mosaike der oberen Etagen waren mittlerweile von aufwendigen Stuckaturen abgelöst worden, die zu bedrückend wirkenden Darstellungen von Göttern und Ungeheuern jeder Art verflochten waren. Eine unbekannte und mittlerweile nicht mehr zu entschlüsselnde Welt entfaltete sich vor ihnen. Schimmel überall und Milchgewächse. Von dieser Pflanze hatte Adhara bereits gehört. Im Land der Nacht war sie weit verbreitet als eine der wenigen, die überhaupt dort wachsen konnten. Sie hatte fleischige Blätter von einem düsteren Blau sowie kugelförmige Blütenstände, die, wie von einer inneren Lichtquelle gespeist, bläulich und
leicht gespenstisch leuchteten. Die ersten Ranken, die sie sahen, wuchsen noch sehr vereinzelt, und es war verwunderlich, wie sie aus dem Erdboden hatten treiben können. Je tiefer sie aber kamen, desto häufiger wurden sie. Sie zeichneten Muster an die Decke, wanden sich um Säulen, krochen in Schlangenlinien über den Fußboden. Zuweilen konnte Adhara nicht verhindern, dass sie Blüten zertrat, woraufhin ein phosphoreszierender Saft austrat, der an den Tod erinnerte. Sie waren längst nicht mehr in der Abteilung GESCHICHTE, sondern lasen auf den Tafeln über den Eingängen andere Beschriftungen, EPIK, MYTHOLOGIE, HELDENSAGEN … Immer noch ging es weiter hinunter, aber irgendwann war Adrass zu schwach, sein magisches Feuer ausreichend hell glimmen zu lassen. Nun musste Adhara vorausgehen und ihnen den Weg leuchten. Vor ihr lag ein immer noch unendlich langer Gang, während sie hinter sich Adrass’ schleppende Schritte hörte. Da ein Schlag. Adhara fuhr herum und sah, dass er gestürzt war. Verzweifelt suchten seine Hände nach einem Halt, schafften es aber noch nicht einmal, eine Milchgewächsranke fest zu greifen. Doch wo seine Finger abglitten, ließen sie rotes Blut auf dem Blau der Pflanzen zurück.
»Hilf mir«, flehte er, während er kraftlos den Blick hob.
Groß war die Versuchung, diesen Mann dort allein sterben zu lassen, unmöglich aber, ihr nachzugeben. Adhara ließ die Leuchtkugel los, die sie bis zu diesem Moment in der Hand gehalten hatte, so dass sie in der Luft schwebte. Dann fasste sie ihren Begleiter unter und lud ihn sich auf die Schultern. Es geschah zum ersten Mal, dass sie seinen Leib berührte, ohne mit ihm zu kämpfen
oder von ihm behandelt zu werden, und sie spürte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief. So merkwürdig, fast unnatürlich kam es ihr vor. Sie trug ihn in eine der seitlich abgehenden Nischen. Auf der Tafel über dem Eingang stand: ERZÄHLUNGEN.
Es handelte sich um einen rechteckigen Raum, der rundum mit Platten aus schwarzem Kristall verkleidet war. Das Licht ihrer Leuchtkugel brach sich in unzähligen Reflexen. Einst mussten die Wände glatt wie Spiegel gewesen sein, und teilweise war der frühere Glanz erhalten geblieben, nur hatte sich der Staub der Jahrhunderte darauf abgelagert. Hier legte Adhara den kranken Adrass zwischen den mit Büchern vollgestopften Regalen nieder.
»Du brauchst Ruhe, um wieder zu Kräften zu kommen. In diesem Zustand kannst du unmöglich weiter«, erklärte sie.
Adrass stöhnte leise, während sie sich nun einen Stofffetzen von ihrem Hemd abriss, den sie mit Wasser aus ihrer Feldflasche tränkte. Es war nicht leicht, dies nur mit einer Hand, der rechten, zu bewerkstelligen. Denn ihre Linke war mittlerweile praktisch taub, und nur mit größter Mühe konnte sie noch ein wenig die Finger bewegen.
Adrass war von ihrer Idee nicht begeistert. »Das Wasser wirst du später noch brauchen …«, murmelte er.
»Aber du brauchst es jetzt«, erwiderte sie.
Sie legte ihm den Lappen auf die Stirn. Sie glühte. Und auch die Blutungen hatten eingesetzt. Adrass’ Mund war rundum rot von Blut. Die Seuche hatte ihn im Griff und schritt rasch voran.
Adhara wusste nicht, wie sie Adrass helfen konnte. Wahrscheinlich gab es tatsächlich keine Behandlung, mit der das Schlimmste zu verhindern war. Wer die Seuche überlebte, hatte zufällig Glück gehabt, aber sie schaffte es im Augenblick nicht, auf dieses Glück zu hoffen.
Viele Stunden wachte sie
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