Die Feuertaufe
Art war.
»Ich denke, was Taylor hier sagen will, Ma’am«, warf O’Neal ein, »das ist, dass nach interstellarem Recht …«
»Danke, Al«, schnitt Honor ihm das Wort ab. »Ich bin mir auch der relevanten Passagen des geltenden interstellaren Rechts bewusst. Und wir steuern trotzdem Saginaw an. Also, dann wollen wir mal.«
»Jawohl, Ma’am.«
O’Neals Erwiderung hätte nicht respektvoller ausfallen können, und doch war gänzlich offenkundig, dass er nicht einsah, warum sie die Vier-Tage-Überfahrt von ihrer aktuellen Position im Hyatt-System bis ins Saginaw-System und der Hauptwelt des Sektors über sich ergehen lassen sollten. Vermutlich wäre der Lieutenant bereit gewesen, die Piraten gnädigerweise erst erschießen zu lassen, bevor sie durch die Luftschleuse gestoßen würden, aber Honor zweifelte keinen Moment lang daran, dass O’Neal ebenso in Kauf genommen hätte, den Piraten noch eine letzte, wichtige Lektion zu erteilen: wie prächtig es sich im Vakuum doch atmen ließ.
Und genau das war das traditionelle Strafmaß für jedweden Piraten, der – wie Nairobi gerade eben noch einmal angemerkt hatte – auf frischer Tat ertappt wurde.
Aber so läuft das dieses Mal nicht , sagte sich Honor. Nicht, wenn die Admiralität so klar und deutlich herausgestrichen hat, wie wichtig es doch sei, Charnowska keinesfalls gegen uns aufzubringen.
Honor versuchte, sich selbst davon zu überzeugen, dass dies der einzige Grund sei, warum sie O’Neals Lösung für das Problem ablehnte. Dass es nicht das Geringste mit Zimperlichkeit ihrerseits zu tun hatte oder mit dem Wunsch, die Verantwortung für eine Massenexekution – beinahe zweihundert Männer und Frauen – an jemand anderen weiterreichen zu können. Sie war sich sogar fast sicher, dass sie das auch glaubte … aber nur fast.
»Also alles in allem, Ma’am«, erklärte Surgeon Lieutenant Mauricio Neukirch, »scheint mir der Gesundheitszustand meiner Patienten den Umständen entsprechend akzeptabel.«
Aber das heißt ja nun wirklich nichts , setzten Tonfall und Körpersprache hinzu.
»Ziemlich schlimm, oder?«, fragte Honor mit sanfter Stimme nach. Der muskulöse Schiffsarzt atmete tief durch und nickte dann.
»Jawohl, Ma’am. Wirklich.« Er verzog das Gesicht, und in seinen dunkelbraunen Augen funkelte ein Zorn, den Honor bei ihm nur sehr selten zu sehen bekam. »Da sind ein paar …«
Er hielt inne und schüttelte den Kopf.
»Ein paar von denen werden reichlich psychologische Betreuung benötigen, Ma’am«, sprach er dann mit finsterer Miene weiter. »Eine ganz besonders. Ich hatte bislang noch keine Zeit, mich länger mit ihr zu befassen, aber eine der anderen hat mir erzählt, sie habe auf einem Schiff gearbeitet, das ihrer Familie gehört hat. Eine ihrer Schwestern und mindestens zwo ihrer Brüder gehörten zur Besatzung. Sie war die jüngste – sie ist erst dreiundzwanzig –, aber sie hat dem Ingenieur assistiert, als diese … Leute an Bord gekommen sind.«
Neukirch schloss die Augen, und seine breiten Schultern sackten sichtlich herab, als er sich in den bequemen Sessel in Honors Arbeitszimmer sinken ließ.
»Die Brüder haben es nicht mehr geschafft, von Bord zu kommen. Nachdem, was mir die Frau, mit der ich geredet habe, berichten konnte, wäre es gnädig von Gott gewesen, wenn für besagte Schwester das Gleiche gegolten hätte. Und diese Patientin hier musste das alles natürlich mitansehen.«
Er spannte die Kiefermuskeln an, und Honor zwang sich dazu, einen tiefen Zug beruhigenden Sauerstoffs zu nehmen.
Auch wenn sein Name das nicht vermuten ließ, war Mauricio Neukirch auf einem Planeten namens San Martin geboren und aufgewachsen. Seine Mutter hatte als Ärztin gearbeitet, sein Vater war ein Leitender Staatssekretär gewesen, bis die Haveniten vor siebzehn T-Jahren San Martin erobert hatten. Dr. Neukirch war es gelungen, zusammen mit vier ihrer fünf Kinder in das Sternenkönigreich zu flüchten. Mauricio – der damals im zweiten Jahr das College besucht hatte – war ihr Ältester.
Der Älteste, der überlebt hatte, hieß das. Seine ältere Schwester hatte als Bordingenieur bei der Flotte der San Martinos gedient; ihr Schiff war während eines verzweifelten Rückzugsgefechts vollständig zerstört worden. Wenigstens hatte das Gefecht lange genug gedauert, um den Terminus des Manticoranischen Wurmlochknotens bei Trevors Stern so lange zu sichern, dass die Flüchtlingsschiffe entkommen konnten. Einige T-Monate später hatten
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