Die Feuertaufe
weitere, äußerst willkommene Nebenwirkung des raschen Flottenausbaus war, dass die Offiziere, die sich dem Schirmherren-System entgegenstellten – und um der Wahrheit die Ehre zu geben, hatte es die schon immer gegeben, in nicht zu geringer Zahl sogar –, allmählich dafür sorgten, dass besagte Schirmherren die Personalabteilungen nicht mehr ganz so sehr im Würgegriff halten konnten.
Nicht, dass dieses System der Schirmherrschaft damit gänzlich aufgehört hätte , dachte Honor grimmig und musste unwillkürlich an diverse äußerst einflussreiche Personen denken, die nach wie vor aktiv dagegenarbeiteten. Aber Leute wie Admiral Courvoisier sind immerhin schon weit genug gekommen, dass ein so fähiger Mann wie Al ganz gewiss nicht auf der Planstelle eines Lieutenant versauern würde, wenn er hier und heute seinen Dienst anträte.
Es hatte Zeiten gegeben, da hatte sich Honor gefragt, was wohl aus O’Neal werden würde. Und diese Frage hatte ihr ernstlich Sorgen bereitet. Mit seiner langjährigen Erfahrung einerseits und seinem relativ niedrigen Dienstgrad andererseits wäre er ideal dafür geeignet gewesen, den Posten des Sailing Masters auf der Hawkwing zu übernehmen – aber genau diese Planstellen wurden bei der Navy stufenweise abgebaut. Honor hatte zwar festgestellt, dass diese Veränderung an Bord kleinerer Schiffe langsamer vonstattenging als bei größeren. Das lag daran, so vermutete Honor, dass irgendjemand aus der Admiralität begriffen hatte, wie viel ein erfahrener Offizier wie O’Neal jüngeren Besatzungsmitgliedern beibringen konnte, gerade auf kleineren Schiffen wie Zerstörern. Doch auch dort fand besagter Wandel mittlerweile statt, und so würde es nicht mehr lange dauern, bis es überhaupt keine Sailing Masters mehr gab. Was also würde aus O’Neal werden, sobald die Umstrukturierung der Flotte endgültig abgeschlossen war?
Natürlich machte sich Honor höchstwahrscheinlich wieder einmal viel zu viele Gedanken – das zumindest pflegte ihre Mutter ihr immer und immer wieder vorzuhalten! Ein Prolong-Empfänger hatte mit einundsechzig Jahren noch nicht einmal die Lebensmitte erreicht, selbst nicht ein Lebensverlängerter erster Generation wie O’Neal. Auch heute noch hatten viele Leute ernstliche Schwierigkeiten damit, zu begreifen, dass Prolong es ermöglichte, auch mehrere berufliche Karrieren nacheinander zu durchlaufen. Aber mit seinen Fähigkeiten wäre O’Neal für jedes Schiff der Handelsmarine von unschätzbarem Wert. Und wenn er keine Lust hatte, zur Handelsmarine zu wechseln, dann blieb ihm immer noch reichlich Zeit, ganz von vorne anzufangen, noch einmal die Schulbank zu drücken und einen gänzlich anderen Beruf zu erlernen, wenn er das denn wollte.
Und in der Zwischenzeit , mahnte sich Honor erneut, könntest du dich ja eigentlich auch einfach darüber freuen, dass Taylor und du Al überhaupt bei euch habt. Ich weiß ja nicht, wie es Taylor geht, aber dass O’Neal mir schon eine ganze Menge beigebracht hat, das weiß ich genau.
»Mitbekommen?«, fragte sie. Beide nickten bestätigend.
»Al«, wandte sie sich an ihren Sailing Master, »ich denke, das wird Ihre Aufgabe sein. Ich möchte, dass Sie sich so schnell wie möglich ein paar Wachen und eine Maschinenraumbesatzung aussuchen.«
»Mahalia wird mir die Hölle heißmachen, wenn ich mir die aussuche, die ich wirklich am liebsten hätte, Ma’am«, merkte O’Neal an. Sein Lächeln war halb unter seinem Schnurrbart verborgen.
»Um Mahalia kümmere ich mich«, versprach Honor und lächelte ebenfalls. Dann hielt sie O’Neal warnend einen Finger unter die Nase. »Aber damit haben Sie keinen Freifahrtschein, in den Maschinenraum zu gehen und sich gezielt genau die Leute auszusuchen, mit denen sie Mahalia am effektivsten ärgern können, verstanden?«
»Aye, aye, Ma’am!« O’Neals Lächeln verwandelte sich in ein Grinsen, um das ihn jeder Lausbub beneidet hätte. Nimitz bliekte auf – sein Gegenstück zu einem Kichern. Wie stets saß der Baumkater auf Honors Schulter und blickte dem Sailing Master geradewegs in die grauen Augen.
»Ich mein’s ernst, Al!«, warnte sie ihn, trotz der telempathisch empfundenen Belustigung des Katers über das, was er von O’Neal auffing. Tatsächlich machte gerade diese Belustigung sie nur noch wachsamer, schließlich kannte sie Nimitz Sinn für Humor.
»Das weiß ich, Ma’am. Und ich bin auch ganz brav – versprochen!«
Immer noch ein wenig misstrauisch, blickte Honor zu ihm auf.
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