Die fiese Meerjungfrau
Tablett mit Essen. Fischfilets mit dieser Orangensülze, die ihr Leute so sehr mögt, frische Trauben, Mandelgebäck, an dessen Rändern die Butter hinabschmolz. Weißt du, wie gut eine richtige Mahlzeit schmeckt, wenn man sich zwei Wochen lang nur von geklautem Abfall ernährt hat? Ich wischte gerade die letzte Sülze auf, als mir endlich der Gedanke kam, dass sie etwas ins Essen getan haben könnten.«
»Beatrice würde niemals -«
»Jetzt weiß ich das«, sagte Talia. »Aber damals ... Ich nahm an, dass sie vorhatten, mich an die königliche Familie daheim auszuliefern. Der einzige Grund, weshalb sie mich gefangen hielten, war der, damit sie einen besseren Preis für mich aushandeln konnten. Sie hatten nichts dagelassen, was ich als Waffe hätte benutzen können, also zerbrach ich das Tablett und nahm mir das längste und spitzeste Stück, das ich finden konnte.
Sie hatten mich in den nordöstlichen Turm gesteckt, in das Zimmer mit dem Gobelin mit dem Sonnenaufgang an der Wand. Das mit dem Fenster, das die Klippen überblickt.«
»Jakob liebt diesen Gobelin«, sagte Danielle mit einem Lächeln.
»Ich interessierte mich mehr für das Fenster. Ich zog den Versuch in Betracht, am Turm herunterzuklettern, aber ich wusste nicht, ob ich kräftig genug war, um das Meer zu erreichen. Ich schwor, ich würde mich eher die Klippen hinunterstürzen, als mich von ihnen zurückschicken zu lassen. Und dann sperrte Schnee die Tür auf.«
Talia neigte die Flasche nach oben und schluckte vernehmbar. »Ihre ersten Worte an mich waren: ›Du bist Dornröschen? Ich hatte mir dich immer blond vorgestellt!‹ Ich hatte noch mein provisorisches Holzmesser in der Hand, also richtete ich es auf sie und fragte sie, wer und was sie sei. Sie ließ kurz dieses kecke Lächeln sehen und sagte: ›Ich bin Schneewittchen.‹«
Talia schüttelte den Kopf. »Ich dachte, sie würde sich über mich lustig machen, also boxte ich sie ins Gesicht und rannte. Beatrice erwartete mich an der Treppe. Ich hob meine Waffe und forderte sie auf, mir aus dem Weg zu gehen.
Sie antwortete nicht sofort. Sie stand stirnrunzelnd da, bis ich anfing, nervös von einem Fuß auf den anderen zu treten. Dann sagte sie: ›Von einer Prinzessin hätte ich bessere Manieren erwartet. Dennoch, angesichts dessen, was sie dir angetan haben, hast du alles Recht, wütend zu sein.‹
Beatrice zog selbst ein Messer. Ich wollte nicht gegen sie kämpfen, aber ich hatte auch nicht vor, mich noch einmal von irgendwem gefangen nehmen zu lassen. Sie versuchte aber gar nicht, mit mir zu kämpfen. Sie hielt mir das Messer hin und sagte: ›Wenn du bleibst, kann ich dich beschützen. Ich kann dir Zuflucht bieten und vielleicht auch eines Tages ein Zuhause. Aber wenn du dich dafür entscheidest, zu gehen, wirst du etwas Besseres brauchen als ein kaputtes Esstablett.‹«
Talia ging wieder an ihren Schrankkoffer, nahm ein Messer heraus und reichte es Danielle. Der Griff war aus geschliffenem Walrosszahn gefertigt, und in dem schwachen Licht konnte Danielle blaue Edelsteine erkennen, die in Form einer Blume darin eingelegt waren. Die Klinge war aus geflammtem Stahl. »Es ist wunderschön!«
»Es ist eine aratheische Arbeit. Beatrice legte es zwischen uns auf den Boden, dann trat sie zur Seite und sagte: ›Falls du dich dafür entscheidest, zu bleiben, so hoffe ich, dass du mir die Ehre erweist, mich in seinem Gebrauch zu unterweisen. Ich war nie gut mit dem Messer.‹
Sie wusste, wer und was ich war«, fuhr Talia fort. »Was ich getan hatte, und was mir angetan worden war. Und da stand sie und lud mich in ihr Haus ein. Ich setzte zu einer Antwort an, aber dann kam Schnee aus dem Zimmer, die sich ein blutiges Tuch an die Nase hielt. Ich rechnete damit, dass sie wütend wäre, doch sie sagte bloß: ›Wenn sie bleibt, müssen wir eine Regel aufstellen, die es ihr verbietet, mich ins Gesicht zu boxen.‹«
Danielle gab ihr das Messer zurück. Ein Teil von ihr beneidete Talia um ihre Jahre mit Schnee und Beatrice. Sie hatten Danielle alle in ihrer Mitte willkommen geheißen, aber bisweilen konnte sie noch die tieferen Bande zwischen ihnen wahrnehmen; die Zeit, die sie zusammen verbracht hatten, bevor Danielle hinzugestoßen war.
Sie schob solche hartherzigen Gedanken beiseite. »Beide werden wieder gesund werden, Talia. Wir haben Lireas Messer, und morgen sind wir wieder in Lorindar.« Talia starrte Schnee an. »Ich weiß nicht, was ich ohne sie machen würde.«
»Du wirst es auch
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