Die fiese Meerjungfrau
Licht in den Becher und zu den Haaren, die um das Heft von Lireas Messer gewickelt waren. Die ersten paar Strähnen zerrissen nur langsam, aber mit jedem verstreichenden Moment gingen mehr Haare entzwei und rollten sich auf. Fast konnte sie spüren, wie die eingesperrten Seelen ihre Stärke von innen hinzufügten und darum kämpften, aus ihrem Gefängnis auszubrechen.
Magie flammte durch das Netz auf dem Becher, als beide Seelen dem Messer entkamen. Schnees Beine gaben unter ihr nach, und wenn Vater Isaac sie nicht aufgefangen hätte, wäre sie gestürzt.
»Danke«, flüsterte sie, während sie sich wieder aufrichtete. Sie konzentrierte sich auf den Seelenbecher. Jedes Haar leuchtete golden, ein glühendes Netz über der Becheröffnung. Aus dem Innern schrien Stimmen. Schnee spürte Beatrices Gegenwart, als die Seele der Königin begann, das Netz zu passieren, nur um gleich wieder in den Becher zurückzufallen. »Gustan kämpft mit ihr.«
»Sie muss zurückkämpfen!«, blaffte Morveren. »Zurückkämpfen, oder beide werden für immer verloren sein!«
Danielle näherte sich dem Altar. »Beatrice, wir sind's!«
»Die Seele kann dich nicht hören«, sagte Morveren.
Schnee riss einen Spiegel von ihrem Halsband ab und ließ ihn durch das Netz fallen. Tönend traf er auf dem Gold auf.
»Was machst du da?«, fragte Morveren und versuchte, sich höher zu ziehen.
Der Spiegel fing die Reflexion des leuchtenden Netzes ein. Schnee konzentrierte sich und dehnte diese Reflexion über die Grenzen des Glases hin aus und erschuf so ein Illusionsnetz innerhalb des Bechers. Sofort machte sich Gustan von Beatrice los und stürzte, wie ein Vogel zu einem Fenster, auf den Spiegel zu, den er offenbar für eine zweite Pforte in die Freiheit hielt.
»Es ist geschafft«, flüsterte Schnee, blind vor Schmerz und Tränen. »Sie ist frei.«
Vater Isaac legte die Hand auf Beatrices Stirn. »Ihr Geist und ihr Körper sind eins.«
Alle scharten sich um den Altar. Der König nahm Beatrices Hand in seine und fragte: »Wie lange wird es dauern, bis sie erwacht?«
»Nicht lange.« Morveren wich vom Altar zurück.
»Was ist mit meinem Bruder?«, fragte Varisto.
Schnee wischte sich das Gesicht am Ärmel ab und blinzelte, um wieder klar zu sehen. Sie streckte die Hand aus, um den Becher und das Messer an sich zu nehmen. Der Becher kippte um und rollte auf den Altarrand zu. Talia sprang hin, um ihn aufzufangen ... und verfehlte ihn. Der Becher sprang auf dem Boden auf, und dann blies ihn ein plötzlicher Windstoß in Morverens wartende Hände. »Tut mir leid, Kind. Ich kann nicht zulassen, dass du meine Enkeltochter ermordest.«
»Lireas Luftgeister!«, wisperte Schnee. »Sie sind hier. Alle!«
Die Türen flogen auf. Wind wirbelte durch die Kapelle und warf Schnee zurück, bevor sie ihre eigene Magie einsatzbereit machen konnte. Sie spürte, wie die Macht des Weihrauchs die Geister verbrannte, aber mit jedem Moment wehte der Wind mehr Weihrauch ins Freie. Kerzen kippten um und fielen auf den Boden und erloschen. Wandbehänge rissen sich los und flogen durch die Luft. Talia machte einen Satz auf Morveren zu und holte mit einem Fuß zu einem Tritt aus, aber Morveren warf sich zur Seite und kroch unter die Bank.
»Wie sind sie reingekommen?«, schrie Danielle.
»Sie waren schon hier!« Schnee zeigte auf das Messer. »Wir haben sie selbst in die Kapelle getragen!«
Vater Isaac breitete die Hände aus und ging mit wehender Robe auf Morveren zu. »Erlaube Gustan, weiterzuziehen!«
Der Wind hatte Danielle zu Boden geworfen. Andere Geister drückten König Theodore und Armand gegen die Bänke, sodass sie sich nicht von der Stelle bewegen konnten, aber bis jetzt war noch niemand verletzt worden. Schnee hielt sich mit beiden Händen am Altar fest und schirmte Beatrice mit ihrem Körper gegen den Wind ab.
Morveren drückte den Becher an ihre Brust. Ihr Summen wurde lauter. In Schnees Ohren rauschte es, als der Wind an Stärke zunahm, und dann war alles still. Sie spürte, wie Isaac darum kämpfte, die Wut der Geister zu beschwichtigen: Seine eigene Magie schien durch die Abwehrzauber der Kapelle nicht beeinträchtigt zu sein.
»Gehe in Frieden!« Isaac griff nach dem Becher.
Eins der Fenster zerbarst in einem Sturm aus buntem Glas. Ein zweites folgte, zerbrochen von den Geistern.
»Großmutter, hör auf!« Lannadae versuchte, Morveren zu erreichen, aber der Wind schleuderte sie zur Seite wie eine Puppe.
Varisto klatschte in die Hände; das
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