Die fiese Meerjungfrau
dachte, wie Talia sie in den Schlaf massiert hatte. Wie lange empfand sie schon so? Soweit sich Schnee erinnern konnte, hatte Talia nie irgendjemandem gegenüber ein romantisches Interesse bekundet, ob Mann oder Frau. Angesichts ihrer Vergangenheit konnte Schnee Talias Abneigung verstehen, aber -
Die Tür zur Kapelle wurde aufgestoßen. Vater Isaac führte König Theodore ins Innere, dicht gefolgt von Armand, Danielle ... und Talia. Talia schaute Schnee an, sah dann aber schnell wieder weg. Zu schnell.
Als Letzter betrat Prinz Varisto die Kapelle, zusammen mit Tymalous, der in der Nähe des Eingangs Platz nahm. Varisto hatte seine Axt zurückgelassen; er bewegte sich wie jemand, der sich verlaufen hatte, als er den anderen nach vorn folgte.
»Wie geht es ihr?«, erkundigte sich König Theodore.
Vater Isaac ging an Schnee und Morveren vorbei und stieg die Stufen zum Altar hoch. »Unverändert.«
Schnee schüttelte den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können, was sich als Fehler herausstellte: Ihre Sicht verschwamm, und in ihrem Hinterkopf begann es zu hämmern. Sie stöhnte und griff sich mit einer Hand an den Schädel.
»Alles in Ordnung?«, fragte Talia.
»Mir geht es gut!« Schnee schluckte und hoffte, dass es nicht so schroff herübergekommen war, wie es sich in ihren Ohren angehört hatte. Ohne aufzublicken, löste sie Lireas Messer von ihrem Gürtel und nahm es in beide Hände.
»Bitte!«, wandte sich Morveren noch einmal beschwörend an sie. »Lass sie nicht sterben!«
Schnee konnte die Macht in ihren Worten spüren, die sich sogar durch Vater Isaacs Abwehrzauber kämpften, um gegen ihre Gedanken zu drücken. Wie lange hatte Morveren ihre Stärke gesammelt, um diesen letzten Versuch zu unternehmen?
Es war nicht genug. Als Morverens Macht schwand, schlang sie die Schwänze um sich und fing an zu weinen.
»Das ist die Hexe?« Prinz Varisto starrte Morveren mit geballten Fäusten an.
Talia blieb neben ihm, vermutlich, um sicherzustellen, dass er die alte Meerjungfrau nicht auf der Stelle umbrachte. Talia war nie jemand gewesen, die sich auf magische Schutzmaßnahmen verließ. »Das ist Morveren.«
Varisto wandte sich an Schnee. »Und dieses Messer. Mein Bruder ...« Er streckte die Hand aus, dann zögerte er. »Lebt er noch?«
»Der Verstand, den ich berührt habe, war zersplittert«, sagte Schnee. »Wenig ist noch vom Geist Eures Bruders übrig.«
Varisto berührte das Heft. Er schloss die Augen. »Ich spüre nichts. Ich ... Ich hatte gehofft -« Seine Finger ballten sich zur Faust, und er zog die Hand mit einem Ruck zurück. »Bitte bringt es zu Ende! Gebt ihm die Würde des Todes!«
Vater Isaac begab sich ans Ende des Altars. Sein Kruzifix mit beiden Händen umklammernd, neigte er den Kopf und begann zu beten. Schnee spürte, wie sich seine Macht in der Kapelle ausbreitete, Wellen von Wärme und Schutz.
Schnee bewegte das Messer auf den Arm der Königin zu. Sie sah, wie der König anfing aufzustehen, aber Prinz Armand ergriff seine Hand.
»Blut erneuert das Band zwischen Körper und Seele«, sagte Morveren. »Du musst das tun, um ihr zu helfen, den Weg zurück zu finden.«
»Es tut mir leid, Bea«, flüsterte Schnee, dann stieß sie Beatrice die Spitze des Messers in den Unterarm. Sie blinzelte die Tränen zurück, als Blut aus der Wunde quoll. Sie hielt das Messer an der Klinge fest und strich das Blut der Königin aufs Heft.
Morveren zog sich höher, wobei ihre gekrümmten Schwänze sie wie zwei dicke Schlangen stützten. »Von diesem Punkt an musst du schnell sein. Beide Seelen spüren die Anwesenheit ihres Körpers. Sie kämpfen sicher jetzt schon darum, zu entkommen. Wenn eure Königin stark genug ist, wird sie -«
»Halt die Klappe!« Schnee steckte Lireas Messer durch das Netz in den Becher, sodass der Knauf auf dessen Boden ruhte und die Haare das Messer so hielten, dass die Spitze an die Decke zeigte. »Sie ist stark. Sie kann es schaffen!«
Mit zusammengebissenen Zähnen berührte sie ihr Halsband. Ihr Kopf explodierte vor Schmerzen, als Vater Isaacs Schutzzauber darum kämpften, ihre Magie zu unterdrücken, aber die wahre Quelle von Schnees Macht befand sich weit weg von hier, sicher versteckt unter dem Palast.
Sie rief genug Macht herbei, um die ganze Kapelle zu beleuchten, doch nur ein einzelner Strahl magischen Lichts durchdrang Isaacs Abwehrvorkehrungen. Indem sie geflissentlich darauf achtete, die Fäden des Netzes nicht zu berühren, lenkte sie dieses
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