Die fiese Meerjungfrau
nachdem sie im Palast eingezogen war, war sie bei jedem Schmutzfleck zusammengezuckt, weil sie sich automatisch auf den Zorn ihrer Stiefmutter gefasst gemacht hatte. Eines Tages hatte Armand sie dann beiseite genommen, um ihr klarzumachen, dass ihre Angst ansteckend war und die Palastangestellten schon die Nächte durcharbeiteten, um dem gerecht zu werden, was sie als das Verlangen ihrer neuen Prinzessin nach Perfektion ansahen.
Nach diesem Tag hatte Danielle gelernt, ihre Reaktionen zu unterdrücken. Natürlich gab es Teile des Palasts, von denen kein Angestellter etwas wusste. Die geheimen Räumlichkeiten unter dem Palast machte Danielle immer noch von Zeit zu Zeit sauber. Hätte sie darauf gewartet, bis Schnee oder Talia das taten, wäre für die Arbeit eine Schaufel nötig gewesen. Sie wischte auch Staub in dem Verbindungsgang, der von diesen Räumlichkeiten hoch zu ihrem Zimmer führte.
Hoch zu ihrem Abort, um genau zu sein.
Heute bemerkte sie die Spinnennetze kaum, die hier und da in dem dunklen Schacht hingen. Als sie die oberste Sprosse erreichte, drückte sie behutsam das Ohr gegen ein in der Wand verborgenes Holzpaneel. Danielle fürchtete sich vor dem Tag, an dem sie diese Bronzesprossen erklomm und, oben angekommen, eins der Zimmermädchen beim Verrichten seiner Notdurft unterbrach.
Von der anderen Seite drang kein Geräusch zu ihr außer dem Heulen des Windes draußen vorm Palast.
»Klingt, als ob ein Sturm aufzieht«, bemerkte Schnee.
Ein Ruck an einem Metallhebel öffnete das Paneel; Danielle betrat den Abort und horchte noch einmal, bevor sie in ihr Schlafzimmer hinaustrat.
Der Wind hatte das Fenster aufgestoßen, und auf den schwarzen und weißen Bodenplatten stand in Pfützen das Regenwasser. Der Größe der Pfützen nach zu urteilen, konnte das Fenster noch nicht lange aufstehen. Danielle schickte sich an, hinzugehen, um die Läden zu schließen, aber Talia packte sie von hinten am Arm.
»So dumm wirst du doch nicht sein!« Talia ließ sich auf die Knie sinken und sah unter dem Bett nach, bevor sie zum Fenster ging. Sie spähte hinaus und griff dann nach draußen, um die Läden zuzuziehen; anschließend klinkte sie die Fensterscheiben wieder ein, wodurch das Geräusch des Windes gedämpft wurde. »Die Fenster offen zu lassen ist so, als schicktest du eine königliche Einladung an jeden Attentäter, der gern die Prinzessin von Lorindar aus dem Weg räumen möchte.«
»Das letzte Mal, als jemand versucht hat, mich umzubringen, hat diejenige die Tür genommen«, sagte Danielle. »Außerdem habe ich diese Fenster persönlich geschlossen; der Wind muss sie aufgestoßen haben.«
Der Regen klang wie Kieselsteine, die von den Läden abprallten. Danielle konnte hören, wie das Wasser durch die kupfernen Dachrinnen brauste.
»Dieser Sturm ist nicht natürlich.« Schnee ging an Talia vorbei und drückte die Finger aufs Glas.
»Was meinst du damit?«, fragte Talia. »Ich kann mich nicht daran erinnern, wann zum letzten Mal eine Woche verging, ohne dass es ein Gewitter gab. Man braucht Kiemen, um in diesem Land zu leben.«
»Das hier ist anders«, sagte Schnee. »Es ist wütend.«
Danielle betrachtete die Pfützen und kämpfte gegen den Drang an, Eimer und Putzlumpen zu holen. »Handelt es sich um irgendeinen magischen Angriff?«
»Ich glaube nicht. Aber selbst wenn ich mich irre, der Palast müsste geschützt sein.« Schnee wischte sich die Hand am Rock ab. »Wenn die Unwetter anhalten, könnte uns eine interessante Zeit auf der Phillipa bevorstehen.«
Danielle schnitt eine Grimasse. »Dann brauche ich einen extra starken Schwung von deinem Tee, bevor wir aufbrechen.« Sie ging zum Schrank, um sich mit ein paar trockenen Kleidern einzudecken. »Wo ist Armand?«
Schnee berührte kurz ihr Halsband. »Auf der Nordmauer.«
So viel zum Thema trocken werden. Oder Abendessen, nebenbei bemerkt. Früher am Tag hatte sie keinen nennenswerten Appetit gehabt, aber nach der Wanderung von Lannadaes Höhle zurück zum Palast, nicht zu vergessen die anschließende Kletterpartie hoch zu ihrem Zimmer, gab ihr Magen sein Missfallen allen in Hörweite bekannt.
Danielle versuchte, nicht daran zu denken, wie mühelos Schnee ihren Ehemann ausfindig gemacht hatte. Schnee hatte im gesamten Palast kleine Spiegel angebracht: Verspiegelte Rückseiten von Wandleuchtern verschafften ihr Augen in fast jedem Zimmer und Korridor; andere Spiegel waren in den Mäulern von Gargoylen entlang der Dächer versteckt oder in
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