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Die fiese Meerjungfrau

Die fiese Meerjungfrau

Titel: Die fiese Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim C. Hines
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sie, den Druck in ihrem Kopf zu lindern; es fühlte sich an, als hätte sie sich den Finger tief ins Ohr gerammt.
    Sanft drehte Morveren Danielles Kopf herum und wiederholte den Vorgang mit dem anderen Ohr. Sie drückte den restlichen Schleim aus dem Wurm und nahm einen zweiten, ehe sie Danielle für fertig erklärte.
    Danielle fuhr mit dem Finger am Außenrand ihres Ohrs entlang. Als sie ihn wieder wegnahm, war die Fingerspitze mit einem Film aus grünlichem Wachs überzogen.
    Sie kletterte zur Seite, um Platz für Schnee zu machen. Sie konnte die anderen noch reden hören, doch die Stimmen waren gedämpft. Auch die Kanonen konnte sie noch hören und die Schreie der Verwundeten. »Bitte mach schnell!«
    Lannadae pflückte zwei Würmer vom Stein und half ihrer Großmutter, indem sie die Paste in James' Ohren drückte, während Morveren sich um Schnee kümmerte. Doch trotz der gemeinsamen Anstrengungen beider Undinen schien es eine Ewigkeit zu dauern, bevor alle versorgt waren.
    Morveren legte die Würmer in den Korb zurück und wischte sich anschließend die Hände an den Schuppen ab. »Seid ihr so weit?«
    Ihre Worte drangen dünn und wie aus weiter Ferne an Danielles Ohr. Sie nickte, ebenso wie die anderen.
    Morveren begann zu singen. Es gab keine Wörter, nur eine dunkle, traurige Melodie. Sogar Danielle konnte die Sehnsucht hinter dem Lied spüren, den Kummer und die Verzweiflung. Sie berührte den Spiegel an ihrem Handgelenk, denn sie musste an Jakob und Armand denken. Tränen stiegen ihr in die Augen.
    Wenn es schlecht lief, würde sie es vielleicht nie mehr heim nach Lorindar schaffen. Sie würde ihren Sohn und ihren Mann nie mehr wiedersehen. Sie würde hier sterben, allein und vergessen. Ausgesetzt und im Stich gelassen, wie Morveren es gewesen war.
    Morveren. Dies waren ihr Lied, ihr Kummer und ihr Leid. Danielle saß zu dicht dran; auch mit zugestopften Ohren wurde sie noch davon überwältigt. Sie mühte sich ab, aus dem Boot zu klettern, aber die Muskeln wollten ihr nicht gehorchen.
    »Morveren, hör auf!« Entweder fehlte Danielles Worten die Überzeugungskraft, oder Morveren konnte sie über ihrem Lied nicht hören. Danielle fiel auf die Seite und schlug mit der Schulter gegen die Ruderbank, bevor sie auf dem Boden des Boots zusammenbrach.
*
    Schnee schloss die Augen und spürte den Zauber in Morverens Lied, als es an ihr vorbeitrieb. In mancherlei Hinsicht erinnerte es Schnee an einen Trick, den ihre Mutter immer angewandt hatte, indem sie Macht in ihre Stimme gezwungen hatte, um Gehorsam zu befehlen. Morverens Macht war sowohl breiter gefächert als auch fokussierter; trotz verstopfter Ohren fühlte Schnee, wie das Lied den Druck auf sie verstärkte.
    Schnee lächelte und machte sich daran, ihre eigene Magie in die Waagschale zu werfen. Als Kind hatte sie gelernt, sich gegen die Befehle ihrer Mutter zur Wehr zu setzen. Sie hatte diese Macht geheim gehalten und immer gehorcht, damit ihre Mutter nichts von ihrer Auflehnung erfuhr. Aber sie hatte aus freiem Willen gehorcht, nicht weil sie dazu gezwungen wurde. Es mochte ein bedeutungsloser Unterschied sein, aber für ein kleines Mädchen war es ein wichtiger.
    Sie wisperte einen ihrer frühesten Abschirmsprüche und wiederholte dabei die simplen, eintönigen Zeilen, die sie sich als kleines Kind ausgedacht hatte.
    Graue Steine, graue Steine,
    hört meinen Ruf.
    Graue Steine, graue Steine,
    baut eine große, starke Mauer.
    Baut sie so hoch wie die Wolken,
    die ich sehe.
    Baut sie so stark, wie es geht.
    Die Steine in dem Zauberspruch waren die ihres Schlafzimmers; die Wolken waren das Einzige, was sie durch das hohe, schmale Fenster in der Wand sah. In jenen Nächten, in denen ihre Mutter Zauber wirkte, lag Schnee wach und kämpfte gegen die albtraumhaften Empfindungen an, die diese Macht hervorrief. Sie hatte damals nicht verstanden, was es war, was sie da fühlte, nur dass es finster und falsch und hungrig war und dass es sie vernichten würde, wenn sie in ihrer Wachsamkeit nachließe.
    Und wie sie es als Kind getan hatte, stellte sie sich auch jetzt vor, dass diese Steine in Reihen nach vorn hüpften und sich einer auf den anderen legten, bis sie eine Barriere zwischen ihr und Morveren bildeten. Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie, wie Lannadae sie aus solcher Nähe anstarrte, dass ihre Nasen sich fast berührten.
    »Es geht mir gut«, sagte Schnee. Lannadae schien nicht in Mitleidenschaft gezogen, aber die anderen Menschen saßen wie betäubt

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