Die fiese Meerjungfrau
rang nach Luft.
Wasser füllte ihre Lunge, und das Husten ließ nach. Behutsam versuchte sie auszuatmen: Die Haut auf beiden Seiten ihres Halses teilte sich, und kühles Wasser floss aus ihren Kiemen. Sie versuchte es noch einmal und kämpfte dabei gegen den Instinkt an, zu trinken statt zu atmen. Schließlich gelang es ihr, einen weiteren Zug Wasser einzuatmen.
Ihre Brust fühlte sich steif und schwer an. Jetzt, da sie die meiste Luft aus ihrem Körper ausgestoßen hatte, fiel ihr das Schwimmen leichter. Eine kleine Blase, eingeschlossen in ihrer Brust, konnte sie noch spüren; sie rülpste sie heraus und holte tief Wasser.
Es schmeckte wie verdorbenes Gemüse. Ob das etwas mit dem Seetang zu tun hatte?
Sie befühlte ihre Kiemen mit den Fingern: Drei lange Spalten verliefen, der Krümmung ihrer Kieferlinie folgend, an beiden Seiten ihres Halses entlang. Sie nahm einen ihrer Spiegel ab und versuchte, die roten Kiemen unter den Hautlappen zu sehen.
Ein leiser, zweitoniger Ruf lenkte ihre Aufmerksamkeit auf Morveren, die einen der Pflanzenstängel ergriffen hatte. Dünne rote Wedel klebten an ihrer Haut. Morveren sang der Pflanze vor, ein sanftes Lied, durch dessen Noten ein Magiefaden gewirkt war. Allmählich lockerten die Wedel ihren Griff.
Eine Seetangranke streifte über Schnees Bauch. Sie versuchte, sie zur Seite zu schieben, aber die Pflanze war stärker, als sie aussah. Eine zweite griff nach ihrem Arm.
Schnee befestigte den Spiegel wieder und tat ihr Bestes, um Morverens Lied nachzuahmen. Bis sie den Trick, unter Wasser zu singen, beherrschte, hatte der Seetang schon begonnen, sie in die Tiefe zu ziehen. Doch die Blätter erschlafften sofort, als sie ein Schlaflied anstimmte, das sie Danielle Jakob hatte vorsingen hören.
Den Pflanzen zu befehlen war eigentlich leichter, als Tiere oder Menschen zu kontrollieren. Sie grinste wie ein Kind, als der Seetang von ihr abfiel.
Sie schwamm an Morveren vorbei und bahnte ihnen einen Pfad. Als sie tiefer hinabgingen, aktivierte sie die Magie ihres Halsbands und tauchte sich selbst in weiches, ins Bläuliche spielendes Licht. Sie trieb in einem endlosen Wald wogender Pflanzen, die ihrem Blick sowohl den Himmel als auch den Meeresboden entzogen. Kleine gelbe Fische huschten durch die Blätter.
Ein Tangklumpen schlang sich um ihren Schwanz. Schnee richtete ihr Lied darauf, doch nichts geschah. Als sie sich umdrehte, sah sie einen weiteren Knäuel Rot an ihr vorbei nach Morveren greifen. Blätter und Stängel hatten sich so miteinander verflochten, dass ihre Umrisse fast menschlich waren.
Schnee zog das Messer aus dem Gürtel und schlug nach den Stängeln. Die Gestalt behielt ihre Form bei und presste Schnees Schwanz zusammen, während sie sich gleichzeitig dehnte, um Morveren zu packen. Das war dann wohl eine der anderen Gefahren, die Morveren erwähnt hatte.
Schnee stieß ihre Klinge ins Zentrum der Gestalt und knipste einen winzigen Hebel an der Parierstange um. Eine Metallplatte in der Mitte der Parierstange drehte sich zur Seite und enthüllte einen kleinen Spiegel. Schnee sang erneut und benutzte den Spiegel, um ihr Lied ins Herz des Angreifers zu tragen.
Der Seetang erbebte, dann erschlaffte er. Blätter begannen wegzutreiben. Die Stängel, die Schnee vorher verletzt hatte, sanken durchs Wasser nach unten.
Morveren schwamm herab und stieß die Hände von hinten in die Gestalt. Schnee erhaschte eine Andeutung von etwas Kaltem und Hungrigem, und dann entwirrte sich der Seetang völlig und wurde wieder zu einfachen Pflanzen.
Morveren umklammerte Schnees Arm und tauchte tiefer.
Schnee sang ihnen weiter den Weg durch die Meerespflanzen. Noch zwei weitere Male wurden sie von den seltsamen Gestalten attackiert. Schnees Schuppen schützten ihren Schwanz, aber dort, wo die Blätter in die Haut ihrer Arme geschnitten hatten, brannte diese wie Feuer. Jedes Mal benutzte sie das Messer, um ihr Lied zu verstärken, und beruhigte die Angreifer lange genug, dass Morveren sie zerstören konnte.
Endlich begannen die Pflanzen, sich zu lichten. Schnees Licht brach durch den Wald und beleuchtete ein Schiffswrack auf den Felsen unter ihnen. Trümmer bedeckten den Meeresboden: alte Fässer, ein Stück Ankerkette, sogar die Gebeine der ehemaligen Mannschaft. Der Schiffsrumpf war von Mollusken überzogen. Beide Masten waren in Decknähe gebrochen; im Heckbereich zog sich ein tiefer Riss durch die Backbord-Seite.
Form und Größe des Rumpfs kennzeichneten das Schiff als
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