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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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keine Kraft der Vergeltung, die zur Verantwortung zog. Sicher, es gab Ursache und Wirkung. Wer schlecht fährt, baut einen Unfall. Nur gab es Ursache und Wirkung nicht im moralischen Sinne. Der eigene Sohn verlor das Augenlicht nicht durch einen Antisemiten, nicht weil man eine Affäre hatte oder weil man die Bedrohung durch Antisemiten nicht so ernst nahm, wie man dies nach Ansicht einiger hysterischer Mitjuden tun sollte.
    Oder doch?
    Finkler erinnerte sich, dass die Funktion seines hochrationalen Verstandes nicht zum ersten Mal durch seine Affären beeinträchtigt wurde. Wer eine Affäre hat, baut einen Unfall. Natürlich glaubte Finkler nicht daran. Höchstens im Sinne
von Ursache und Wirkung. Hat man eine Affäre und lässt sich einen blasen, während man über die M40 braust, könnte der Wagen außer Kontrolle geraten. Schuld daran ist mangelnde Konzentration, nicht mangelhafte Moral. Nur warum fühlte er sich dann mit einer Geliebten im Auto nicht ganz so sicher, wie wenn er mit seiner Frau im Auto saß? Seiner Meinung nach waren Männer und Frauen nicht geschaffen, monogam zu leben. Mit mehr als einer Frau zu schlafen, war kein Vergehen gegen die Natur, höchstens eines gegen die Ästhetik, etwa wenn man mit Ronits schwindelerregendem Dekolleté aus der Stadt fuhr, während daheim die schöne, elegante Ehefrau wartete. Wegen eines Vergehens gegen die Ästhetik aber hatten weder Gott noch Gesellschaft je zur Verantwortung gezogen. Warum also diese düsteren Vorahnungen?
    Und diese düsteren Vorahnungen hatte er jedes Mal, wenn er eines der sexuellen Vergehen beging, die in seinen Augen keine waren. Es gab einen Autounfall. Das Hotel stand in Flammen. Und, ja – so primitiv war’s –, ihm fiel der Schwanz ab.
    Er konnte es erklären. Angst war älter als der Verstand. Selbst im wissenschaftlichen Zeitalter wohnte den Menschen ein Rest jener prähistorischen Ignoranz inne, deren Abkömmling diese irrationale Furcht war, weshalb es nicht den geringsten Unterschied machte, ob Finkler Ursache und Wirkung der Ereignisse verstand oder nicht. Immer noch galt, dass eines Morgens die Sonne vielleicht nicht mehr aufging, weil er etwas getan oder ein Ritual unterlassen hatte. Und wie ein vor einer halben Million Jahre geborener Mensch fürchtete er, dass die Götter Rache an seinem Sohn übten, weil er gegen ihre Gebote verstoßen hatte.
     
    Kurz nach ein Uhr früh stand er vor Immanuels Unterkunft. Es war niemand daheim. Er probierte es erneut über Telefon, aber die Leitung war immer noch belegt. Blaise ging auch nicht an
den Apparat. Er dirigierte den Fahrer zu Blaises Wohnung in die Cowley Road. Im Vorderzimmer brannte Licht. Finkler klopfte überflüssigerweise ans Fenster. Jemand, den er nicht kannte, zog die Vorhänge zurück, dann zeigte Blaise ihr Gesicht. Sie schien erstaunt, ihn zu sehen.
    »Das wäre nicht nötig gewesen«, sagte sie, als sie ihn einließ. »Ich habe doch gesagt, es ist alles okay.«
    »Ist er hier?«
    »Ja, er hat sich auf mein Bett gelegt.«
    »Geht es ihm gut?«
    »Wie gesagt, alles okay.«
    »Lass mich zu ihm.«
    Sein Sohn saß auf Blaises Bett, las in einem Promi-Magazin und trank Cola mit Rum. Ein Pflaster klebte auf der Wange, und sein Arm steckte in einer Schlinge, ansonsten sah er unversehrt und putzmunter aus.
    »Upps«, sagte er.
    »Was meinst du denn mit: upps?«
    »Upps wie in uppsala. Das hast du früher immer gesagt, wenn einer von uns hingefallen ist.«
    »Also bist du hingefallen?«
    »Irgendwann ja.«
    »Was meinst du mit: irgendwann?«
    »Dad, willst du mich noch lange fragen, was ich meine?«
    »Erzähl einfach, was passiert ist.«
    »Vorher solltest du noch eine Frage stellen, Dad.«
    »Und die wäre?«
    »Wie geht es dir, Immanuel?«
    »Tut mir leid. Wie geht es dir, Immanuel?«
    »Halbwegs okay, danke. Siehst du ja selbst. Es gab ein bisschen Zoff, mehr nicht. Vor der Studentengewerkschaft. Nach einem öffentlichen Streitgespräch – ›Diese Versammlung findet, dass Israel sein Existenzrecht verloren hat‹ –, irgendwas in dieser
Art. Hat mich übrigens überrascht, dass du nicht als Redner eingeladen warst.«
    Das überraschte Finkler auch, jetzt, wo er davon hörte.
    »Und?«
    »Du weißt ja, wie das so läuft. Die Gemüter waren ein bisschen erhitzt. Worte wurden gewechselt, dann flogen die Fäuste.«
    »Bist du verletzt?«
    Immanuel zuckte die Achseln. »Mein Arm tut weh, aber ich glaube nicht, dass er gebrochen ist.«
    »Warst du im Krankenhaus?«
    »Ist

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