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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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nicht wusste, wo man morgen sein würde, ja, ob man überhaupt noch am Leben war.
    Doch heute Abend nahm sie ihn am Arm und führte ihn in die Küche. Weder Finkler noch Libor boten an, ihnen zu helfen. Es war, als wollten sich die Paare gegenseitig ein wenig Raum geben.
    »Unser Freund scheint mir sehr glücklich zu sein«, sagte Libor.
    »Stimmt«, gab Finkler ihm recht. »Er strahlt geradezu.«
    »Meine Nichte auch. Ich glaube, sie tut ihm gut. Sieht aus, als hätte er nur eine Mutter gebraucht.«
    »Was sonst«, sagte Finkler. »Was sonst.«

ACHT
    1
    Fink ler freute sich auf ein paar Runden Online-Poker vor dem Schlafengehen, weshalb es ihn enttäuschte, als er nach Hause kam und eine Nachricht von seiner Tochter Blaise auf dem Anrufbeantworter vorfand. Immanuel, der jüngere seiner beiden Söhne, sei in einen antisemitischen Vorfall verwickelt gewesen. Absolut kein Grund zur Sorge. Er sei völlig okay. Blaise wollte nur, dass ihr Vater es von ihr erfuhr und nicht von möglicherweise übelwollender Seite. Die Leitung rauschte so, dass Finkler nicht alle Details verstehen konnte. Als er die Wiederholtaste drückte, fragte er sich, ob ihm ein Streich gespielt wurde – vielleicht wollten ihm Julian, Libor und Hephzibah, die, als er ging, noch zusammen getrunken hatten, eine kleine Lektion in Sachen Moral erteilen. Sehen wir doch mal, wie sich unser jiddischer ASCHandphilosoph fühlt, wenn es ihm selbst passiert. Aber die Stimme war definitiv die von Blaise. Und auch wenn sie sagte, dass es absolut keinen Anlass zur Sorge gebe, gab es den offenbar doch, denn warum hätte sie sonst angerufen?
    Er rief zurück, aber Blaise ging nicht an den Apparat. Das machte sie oft. Bei Immanuel war ständig besetzt. Vielleicht hatten die Scheißkerle sein Telefon geklaut. Er versuchte es bei seinem Sohn Jerome, aber der studierte an einer weniger spießigen, eher bodenständigen Universität und hatte für seine Geschwister meist nur bissigen Spott übrig. »Antisemitische Massen vorm Balliol College? Wohl kaum, Dad.«

    Da es zu spät war, noch seinen Fahrer anzurufen, und er zu betrunken war, um selbst fahren zu können, rief Finkler den Limo-Dienst an, den er gelegentlich benutzte. Oxford, sagte er der Telefonistin. Sofort.
    Er musste darum bitten, dass das Radio leiser und schließlich ganz ausgestellt wurde. Das machte den Fahrer, der behauptete, den Sender wegen der Verkehrsmeldungen hören zu müssen, so wütend, dass Finkler fürchtete, jeden Moment selbst in einen antisemitischen Vorfall verwickelt zu werden. Verkehrsmeldungen? Um Mitternacht? Kaum hatten sie London verlassen, wurde es ruhiger auf den Straßen, und Finkler kam der Gedanke, dass der Fahrer das Radio vermutlich brauchte, um wach zu bleiben. »Vielleicht sollten Sie es doch wieder anmachen«, sagte er.
    Er wurde von irrationalen Ängsten geschüttelt. Gerade hatte er den Mann unnötig verärgert, der ihn zu seinem Sohn fuhr. Womöglich hatte er auch seinen Sohn auf eine jener vielen Tausend Weisen verärgert, auf die nur ein Vater seine Kinder verärgern kann. Hatte sich sein Sohn gar seinetwegen auf einen Kampf mit Antisemiten eingelassen? Finkler war ein prominenter Jude, ob er nun a Schand empfand oder nicht. Und von rassistischen Schlägern durfte man wohl kaum erwarten, dass sie sich in den feinen Unterschieden des jüdischen Antizionismus auskannten. »Ha, du bist also Sam Finklers Sohn, du kleiner Itzig? Dann gibt’s jetzt eine blutige Nase.«
    Falls es nicht was Schlimmeres als eine blutige Nase war.
    Er kauerte sich in der Ecke des Mercedes zusammen und begann zu weinen. Was würde Tyler sagen? Er spürte, wie enttäuscht sie von ihm war. Er hatte ihr versprechen müssen, dass die Kinder für ihn an erster Stelle kamen. »Nicht deine verfluchte Karriere, nicht deine jüdischen Mätressen mit ihren dicken Titten und nicht die Spinner, mit denen du dich im Groucho herumtreibst – deine Söhne und deine Tochter. Deine Söhne und deine Tochter, Schmuel – versprich’s mir!«

    Er hatte es versprochen, und es war ihm ernst damit. Bei der Beerdigung hatte er die Arme um seine Söhne gelegt, und gemeinsam hatten sie lange in Tylers Grab hinabgeblickt, drei verlorene Jungen. Blaise war für sich geblieben, war in Gedanken ganz bei ihrer Mutter. Gegen alle Jungen, ob verloren oder nicht. Eine Woche blieben die drei, ehe sie an ihre Universitäten zurückkehrten. Er schrieb, rief sie an, lud sie zu Filmpremieren und Dreharbeiten ein. An manchen

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