Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
Vom Netzwerk:
kürzte Finkler übrigens seinen Vornamen von Samuel zu Sam. Tat er das, weil er den Eindruck erwecken wollte, nun Privatdetektiv zu sein? Unser Mann Sam? Treslove kam der Gedanke, sein Freund habe vielleicht etwas dagegen, für einen Finkler gehalten zu werden, doch wäre es dann nicht sinnvoller gewesen, den Nachnamen Finkler und nicht den Vornamen Samuel zu ändern? Vielleicht wollte Finkler ja auch nur, dass man ihn für einen umgänglichen Menschen hielt. Der er nicht war.
    Ehrlich gesagt, Treslove hatte recht mit der intuitiven Vermutung, dass Finkler kein Finkler mehr sein wollte. Sein Vater war gestorben. Zum Ende hin hatte er allen Wunderpillen zum Trotz große Schmerzen gelitten. Und es war Finklers Vater gewesen, der stets darauf geachtet hatte, dass er den Finkler-Anforderungen genügte. Seine Mutter hatte noch nie viel davon verstanden und machte sich jetzt, da sie allein war, erst recht nichts daraus. Also war Schluss mit dem Finklertum, Schluss mit den irrationalen Glaubenssystemen. Treslove kapierte nur nicht, warum seinem Freund der Name Finkler noch etwas bedeutete, wenn er doch mit der finklerischen Idee nichts mehr anfangen konnte. Indem er Finkler blieb, erhielt Finkler die rückständigen Gefühle seines Glaubens lebendig. Indem er Samuel loswurde, schwor er der Finkler-Zukunft ab.
    Mithilfe seiner Ratgeberserie praktischer Weisheiten gelang es ihm – trotz großer Füße, gelegentlicher Verbalsprinklereien und seines, wie Treslove fand, rundum unsympathischen Äußeren
– , sich zu einer bekannten TV-Persönlichkeit zu mausern und Sendungen zu machen, die den Menschen zeigten, wie Schopenhauer ihnen in Liebesdingen, Hegel bei den Urlaubsvorbereitungen oder Wittgenstein beim Erinnern von PIN-Zahlen behilflich sein konnten. (Und den Finklern bei unvorteilhaftem Aussehen, dachte Treslove, als er verärgert den Fernseher abstellte.)
    »Ich weiß, was ihr von mir denkt«, brachte Finkler im Freundeskreis gern wie zur Entschuldigung vor, als sein Erfolg selbst für jene, die ihn kannten und akzeptierten, allmählich schwer zu verkraften war, »aber ich brauche das Geld für den Tag, an dem Tyler mich verlässt und auf Heller und Pfennig verklagt.« Natürlich hoffte er, dass sie sagte, sie liebe ihn und denke nicht im Traum daran, ihn zu verlassen, nur hat sie das nie getan. Vielleicht, weil sie kaum etwas anderes tat, als davon zu träumen, dass sie ihn verließ.
    Wohingegen Finkler, wenn Tresloves Vermutung stimmte, schlicht zu groß war, um irgendwas zu träumen.
    Obwohl sich ihre Leben in verschiedene Richtungen entwickelten, verloren sie nie den Kontakt zueinander, zu ihren jeweiligen Familien – falls man bei Treslove denn von Familie sprechen konnte – oder zu Libor, der sich, erst auf dem Höhepunkt seiner Bekanntheit, dann aber auch, als es stiller um ihn wurde und er sich vor allem um seine kranke Frau kümmerte, immer wieder an sie erinnerte und zu einer Party einlud, zu einem Einzugsfest oder gar einer Filmpremiere. Als Julian Treslove zum ersten Mal in Libors prächtiger Wohnung am Portland Place war und Malkie hörte, wie sie Schuberts Impromptus Opus 90 Nr. 3 spielte, weinte er wie ein kleines Kind.
    Seither hatten Trauerfälle die Unterschiede in Alter und Karriere verwischt und ihre Zuneigung füreinander wieder entfacht. Kummer und grausamer Verlust waren die Gründe, weshalb sie sich nun häufiger als in den vergangenen dreißig Jahren sahen.

    Seit ihre Frauen fort waren, konnten sie wieder zu jungen Männern werden.
    Unter »fort« verstehe man bei Treslove, dass sie die Koffer gepackt oder jemanden gefunden hatte, der emotional weniger anstrengend war, oder dass sie auf den gefährlichen Straßen einfach noch nicht seinen Weg gekreuzt und ihm den Seelenfrieden geraubt hatte.
    4
    Nach dem Essen war Julian allein zum Regent’s Park gegangen, um durchs Tor zu schauen. Finkler hatte angeboten, ihn mitzunehmen, aber er hatte abgelehnt. Er wollte nicht im Leder von Sams großem schwarzem Mercedes versinken und fühlen, wie ihm der Neid das Hinterteil wärmte. Er hasste Autos, beneidete Sam aber um den Mercedes ebenso wie um den Fahrer für Abende, an denen Sam wusste, dass er zu viel trinken würde – nur was ergab das für einen Sinn? Wollte er einen Mercedes? Nein. Wollte er einen Fahrer für die Abende, an denen er zu viel trank? Nein. Er wollte eine Frau, und die hatte Sam nicht mehr. Also was hatte Sam, was er nicht hatte? Gar nichts.
    Selbstachtung vielleicht

Weitere Kostenlose Bücher