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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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ausgenommen.
    Was auch nach einer Erklärung verlangte. Wie konnte man eine Sendung machen, die Blaise Pascal und Zungenküsse auf einer Ebene abhandelte, und dabei seine Selbstachtung bewahren? Antwort – man konnte nicht.
    Und doch besaß er sie.
    Vielleicht war es ja gar keine Selbstachtung. Mit »Selbst« hatte das vielleicht nichts zu tun, vielleicht war es sogar eher eine Freiheit vom Selbst oder doch vom Selbst im tresloveschen Sinne, diesem verschüchterten Wissen um den eigenen kleinen Platz in dem von einem Stacheldrahtzaun aus Geboten und Grenzen
umzogenen Universum. Wie schon seinen Vater, den Showman und Arzneimittelhersteller, zeichnete Sam eine Art Bedenkenlosigkeit gegenüber dem Versagen aus, eine großspurige Chuzpe, von der Treslove nur vermuten konnte, dass sie zum finklerischen Erbe gehörte. War man ein Finkler, fand sich derlei einfach in den Genen, genau wie die übrigen Finkler-Attribute, über die man höflicherweise besser schwieg.
    Sie drängten jedenfalls auch da vor, diese Finkler – selbst Libor –, wo Nicht-Finkler sich nur zögerlich zu Wort melden würden. An diesem Abend zum Beispiel hatten sie nach dem Klavierspiel über den Nahen Osten geredet. Treslove hielt sich zurück, da er meinte, kein Recht auf eine Meinung zu einem Thema zu haben, das ihn nichts anging, zumindest nicht so, wie es Sam und Libor etwas anging. Doch wussten sie wirklich mehr als er? Und falls ja, wie kam es dann, dass sie sich in fast jeder Hinsicht uneins waren? Oder ignorierten sie bloß schamlos die eigene Ignoranz?
    »Nicht schon wieder«, sagte Finkler meist, wenn die Rede auf Israel kam. »Holocaust, Holocaust«, obwohl Treslove sicher wusste, dass Libor den Holocaust gar nicht erwähnt hatte.
    Allerdings war es ja möglich, sagte sich Treslove, dass Juden den Holocaust nicht zu erwähnen brauchten, um den Holocaust zu erwähnen. Vielleicht konnten sie den Gedanken an den Holocaust mit Blicken übertragen, selbst wenn Libor nicht so aussah, als ob er tatsächlich Gedanken an den Holocaust übertrug.
    Woraufhin Libor seinerseits meist erwiderte: »Schon wieder? Dreht sich schon wieder alles um den Selbsthass der Juden?«, dabei hatte Treslove noch nie einen Juden oder sonst wen kennengelernt, der sich selbst so wenig hasste wie Finkler.
    Und dann legten sie los, als analysierten und zerfetzten sie die jeweiligen Argumente zum ersten Mal, dabei wusste Treslove, der ja nichts wusste, dass sie seit Jahrzehnten dasselbe sagten. Zumindest seit Finklers Zeit in Oxford. In der Schule war Finkler
ein so glühender Zionist gewesen, dass er sich, als der Sechs-Tage-Krieg begann, freiwillig zur israelischen Luftwaffe melden wollte, obwohl er damals erst sieben Jahre alt gewesen war.
    »Du bringst da einiges durcheinander«, korrigierte ihn Finkler, als Julian ihn daran erinnerte. »Es war die palästinensische Luftwaffe, zu der ich mich freiwillig melden wollte.«
    »Die Palästinenser haben keine Luftwaffe«, erwiderte Treslove.
    »Eben«, sagte Finkler.
    Libors Haltung hinsichtlich Israel mit drei R und ohne L – Isrrrae – war jene, die man Treslove als Rettungsboothaltung beschrieben hatte. »Nein, ich war nie dort und will auch nicht hin«, sagte er, »doch mag selbst in meinem Alter der Tag nicht fern sein, an dem ich nirgendwo anders mehr hin kann. Das lehrt uns die Geschichte.«
    Finkler gestattete sich nicht, das Wort Israel auch nur in den Mund zu nehmen. Für ihn gab es kein Israel, nur Palästina. Treslove hatte ihn in diesem Zusammenhang sogar schon von Kanaan reden hören. Israelis dagegen musste es geben, damit man die Täter von jenen unterscheiden konnte, denen etwas angetan wurde. Und während Libor Israel wie einen heiligen Laut ausstieß, wie ein Hüsteln Gottes, fügte Finkler ein seekrankes J zwischen A und E ein – Isra j elis –, als sei damit eines jener Gebrechen gemeint, gegen die sein Vater die berühmten Wunderpillen verschrieben hätte.
    »Das lehrt uns die Geschichte!«, schnaubte er verächtlich. »Die Geschichte sagt, dass die Israjelis noch nie gegen einen Feind gekämpft haben, der durch den Kampf nicht stärker wurde. Die Geschichte sagt, dass die Tyrannen sich letztlich selbst vernichten.«
    »Und warum warten wir dann nicht einfach, bis es so weit ist?«, warf Treslove zögerlich ein. Ihm war nie ganz klar, ob Finkler Israel den Sieg oder die nahende Niederlage übel nahm.

    Obwohl Finkler seine Mitjuden wegen ihrer Sippenhaftigkeit in Sachen Israel hasste, vermochte er

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