Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
vollbrachte, einmal davon abgesehen, dass sie noch nicht seine Frau war.
»Ich wusste es«, sagte Finkler, als er sich über den Tscholent hermachte. »Heldsl! Ich wusste, ich habe Heldsl gerochen.«
Treslove wusste es auch, aber nur, weil Hephzibah es ihm gesagt hatte. Heldsl war gestopfter Hühnerhals. Ihrer Ansicht nach durfte es keinen echten Tscholent ohne Heldsl geben. Finkler war offensichtlich derselben Meinung.
»Sie haben die Füllung mit Oregano gewürzt«, sagte er und leckte sich die Lippen. » Klasse Idee. Auf Oregano ist meine Mutter nie gekommen.«
Meine auch nicht, dachte Treslove.
»Ist das Tscholent sephardischer Art?«, fragte Finkler.
»Nein, das ist meine Art.« Hephzibah lachte.
Finkler sah zu Treslove hinüber. »Du bist ein glücklicher Mann«, sagte er.
Ein glücklicher mamser .
Treslove ließ sich das Heldsl schmecken und nickte zustimmend. Gefüllter Hühnerhals, Himmelherrgott! Die Geschichte eines ganzen Volkes in einem einzigen Hühnerhals.
Und Finkler, Philosoph und ASCHandjidd, leckte sich die Lippen, als hätte er Kamjanez-Podilskyi nie verlassen.
Nach dem Tscholent wurde sich abgewischt.
Bei Hephzibah ging es stilvoll zu, schon Stunden vor dem Eintreffen ihrer Gäste ließ sie Treslove Gläser und Silberbesteck putzen, doch hinsichtlich Servietten hätte man bei ihr ebenso gut in einer Fernfahrerkneipe sitzen können. Vor jedem Gast stand ein Edelstahlhalter für Papiertücher. Als Treslove zum ersten Mal für sie beide deckte, faltete er die Servietten, wie es ihm seine Mutter beigebracht hatte, zu kleinen Segelschiffen, eines pro Person. Hephzibah lobte sein Geschick, schüttelte ihr Schiffchen auf und legte es sich mit anmutiger Geste in den Schoß, doch als er beim nächsten Mal Servietten falten wollte, stand vor jedem Platz ein Papiertuchhalter. »Ich will niemanden zur Völlerei verführen«, erklärte Hephzibah, »aber ich will genauso
wenig, dass irgendwer, der an meinem Tisch sitzt, meint, sich zurückhalten zu müssen.«
Hephzibah verbrauchte selbst mindestens ein Dutzend Tücher, mehr noch, wenn es Tscholent gab. Tresloves Mutter hatte ihrem Sohn beigebracht, möglichst keine Flecken auf der Serviette zu hinterlassen, damit man sie erneut zum Schiffchen falten und noch einmal benutzen konnte. Mittlerweile folgte er Hephzibahs Beispiel und nahm sich für jeden Finger ein frisches Tuch.
Alles war anders. Vor Hephzibah hatte er nur mit dem Mund gegessen. Jetzt aß er mit dem ganzen Körper. Und man braucht viele Papierservietten, um einen ganzen Körper sauber zu halten.
»Also dieses Museum …«, sagte Finkler, sobald abgeräumt war.
Hephzibah neigte den Kopf in seine Richtung.
»… haben wir davon nicht schon genug?«
»Sie meinen, Museen im Allgemeinen?«
»Jüdische Museen. Heutzutage hat doch jede Stadt, jedes Schtetl ein Holocaust-Museum, wo immer man auch hinkommt. Brauchen wir also tatsächlich so ein Museum in Stevenage oder Letchworth?«
»Sollten Sie in Letchworth ein Holocaust-Museum finden, würde mich das ziemlich überraschen. Aber wir reden ja auch gar nicht von einem Holocaust-Museum, sondern von einem Museum für anglo-jüdische Kultur.«
Finkler lachte. »Gibt es die denn? Wird darin vorkommen, dass man uns 1290 aus dem Land geworfen hat?«
»Natürlich. Und dass man uns 1655 wieder aufgenommen hat.«
Finkler zuckte die Achseln wie vor einem Publikum, das er längst zu seiner Meinung bekehrt hatte. »Läuft doch stets aufs Gleiche raus«, sagte er. »Letzten Endes dreht sich alles um den Holocaust, wenn auch vielleicht unter der Überschrift ›Britische
Einstellungen zum …‹. Ich sage Ihnen, Sie werden noch Fotos von den Gasöfen aufhängen. Machen jüdische Museen immer. Aber wenn es schon ums Leid gehen muss, wieso legen wir dann nicht ab und zu mal eine andere Platte auf? Wie wäre es zum Beispiel mit einem Museum zu den russischen Pogromen? Oder einem Museum zum babylonischen Exil? Oder in diesem Fall, da der Standort schon feststeht, ein Museum für all das Hässliche, das uns je von den Engländern angetan wurde ?«
»Eigentlich sollen englische Hässlichkeiten gerade nicht zum Thema gemacht werden«, erklärte Hephzibah.
»Das freut mich.«
»Noch«, warf Treslove ein, »irgendwelche anderen. Unser Museum wird den Holocaust nicht einmal erwähnen.«
Finkler starrte ihn an. Unser? Wer hat dich denn gefragt?, stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Libor regte sich auf seinem Stuhl. Ganz aus dem Zusammenhang und in
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