Die Finsteren
Ihr braucht diese Information nicht an Mr. Cooper weiterzugeben. Es ist offensichtlich, dass er heute wichtigere Angelegenheiten zu erledigen hat.«
Mehrere Schüler lachten pflichtbewusst, als sie ihre Bücher zusammenpackten und aus der Klasse gingen.
Kent Hickerson blieb noch etwas länger sitzen, drehte sich um und lehnte sich nach hinten, um Brett Hogan in gedämpftem Tonfall zuzuflüstern: »Willst du zusehen, wie Cooper die Fresse poliert bekommt?«
Brett lächelte. »Also ist es endlich so weit?«
Kent stand auf und schwang seinen Rucksack über die Schulter. »Oh ja. Aber so was von. Gehen wir.«
Brett folgte Kent aus dem Klassenzimmer.
Kevin erreichte seinen Spind in Rekordzeit. Seine Beinmuskeln spannten sich an, als er durch die Gänge rannte und die weitläufige Eingangshalle passierte, die an die vorderen Büros und die Cafeteria grenzte. Er sprang eine kurze Treppenflucht hinab, die zu einem Trakt auf der anderen Seite der Schule führte. An beiden Wänden reihten sich Spinde aneinander. Sein eigenes Schließfach befand sich direkt neben einer offen stehenden Doppeltür. Er hörte Stimmen aus der Aula dringen, während er das Rädchen am Zahlenschloss drehte. Als er die dritte Ziffer der Kombination eingestellt hatte, rüttelte er am Schloss und schlug mit der Faust gegen die Tür des Spinds, weil sich nichts rührte.
»Scheiße!«
Er zwang sich, tief durchzuatmen und nicht zu sehr in Rage zu geraten. Dann legte er die Finger auf das Schloss und starrte sie an, bis sie nicht länger zitterten. Die Schule erwachte mit dem Stimmengewirr von Schülern zum Leben, während sich die Klassenzimmer allmählich leerten. Bald würden warme, sich aneinanderdrängende Körper die Flure füllen. Für ihn hatten sich die Voraussetzungen geändert. Inzwischen bedeuteten überfüllte Gänge, dass er mit mindestens einem vorsätzlichen Ellbogenstoß in die Rippen oder einem Schlag auf den Rücken rechnen musste.
Der bislang schlimmste Vorfall dieser Art hatte sich vor einer Woche ereignet. Damals hatte man ihn mehrere Male gestoßen und mit Ellbogen gerempelt, was er mit zusammengebissenen Zähnen stoisch ertrug. Dann jedoch brachte ihn jemand ins Stolpern und er stürzte zu Boden. Ein anderer stieg ihm auf den Rücken und trampelte über ihn hinweg, bevor er sich wieder aufrappeln konnte. Als er sich hochstemmte, hörte er Gelächter von mehreren Seiten und kämpfte gegen die Tränen an. Auf wackeligen Füßen hatte er sich im Kreis gedreht und die Schüler rings um ihn finster angestarrt. Vor lauter Wut wurde ihm derart übel, dass er willens und bereit war, es mit jedem Einzelnen von ihnen aufzunehmen. Es spielte keine Rolle, dass er sich nicht auf Rückendeckung seiner Freunde verlassen konnte. Es hielt sich ohnehin keiner von ihnen in der Nähe auf. Damals hatte er sich danach gesehnt, auf seine Peiniger einzudreschen, doch er hielt sich zurück, weil er wusste, dass sie sich nur gegen ihn verbünden würden, um ihn mitten auf dem Gang halb totzutreten.
Beim nächsten Versuch leistete das Schloss keinen Widerstand mehr. Kevin seufzte vor Erleichterung und zog die Tür auf. Er warf das Soziologiebuch hinein, schnappte sich den Schlüsselbund von einem Haken und schloss den Spind wieder. Wie in letzter Zeit üblich ging er mit leeren Händen, ohne ein einziges Lehrbuch. Seine Zensuren kümmerten ihn nicht mehr im Geringsten und er spielte mit dem Gedanken, die Schule abzubrechen. Seine Eltern würden zwar stocksauer sein, aber auch das juckte ihn nicht die Bohne. Er ertrug diesen Ort nicht länger. Sicher, seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt schränkten sich dadurch massiv ein, aber was machte das schon? Er besaß ein Auto und konnte damit überallhin fahren. Wahrscheinlich konnte er genug Kohle zusammenkratzen, um es zur nächstgelegenen größeren Stadt zu schaffen, und dann standen ihm alle Möglichkeiten offen.
Als er am Eingang zur Aula vorbeilief, blieb er abrupt stehen. Ein Stirnrunzeln schlich sich auf sein Gesicht. Er hätte schwören können, dass er die Stimme, die sich gerade zu Wort meldete, kannte. Das Geplapper zum Abschluss des Unterrichts wurde lauter und in wenigen Momenten würde es auf diesem Gang von Schülern auf dem Heimweg wimmeln, doch er beschloss, dass ein kurzer Augenblick, um seine Neugier zu befriedigen, nicht schadete. Er trat näher an die Tür heran und spähte hinein.
»Hä?«
Es sah aus, als probe der Schauspielklub auf der Bühne ein Stück. Ein Dialog, den Kevin nicht
Weitere Kostenlose Bücher